OÖ. Heimatblätter 1976, 30. Jahrgang, Heft 1/2

Der Nähstock Mit 4 Abbildungen Langsam stapft im tiefen Schnee eine Frau den Berghang hinauf zum Bauernhof. Ihren Arbeits behelf trägt sie in einem Bündel in der Hand. Oben angekommen wird sie schon von der Bäuerin erwartet, bei der Haustüre herzlich begrüßt und in die warme Stube geführt. Hier wird sie in der Ecke beim großen Tisch für einige Tage, vielleicht für Wochen, ihre Werkstätte aufschlagen. Eine Kammer wird ihr noch gezeigt, wo sie die Nacht verbringen kann; meist teilt sie diesen nicht heizbaren Raum mit der Haustochter oder der Magd. Nachdem sie gejausnet hat, beginnt gleich die Arbeit. Der Nähstock wird an die Tischkante an geschraubt, die anderen Utensilien werden in einer Spanschachtel auf den Tisch gestellt. Die Bäuerin hat schon alles bereitgelegt, vom neuen Stoff für ein Sonntagskleid, den sie beim Hausierer, der als letzter vorbeikam, gekauft hat, bis zu einem neuen Kragen am alten Hemd des Hausknechts. Die Näherin auf der „Stör", wie sie genannt wird, beginnt gleich mit dem ersten Stück. Die Arbeitszeit ist so lange wie bei den Hausleuten. Morgens rmd am späten Nachmittag ist es um diese Jahreszeit noch finster und so wird bei Spanlicht oder vielleicht schon bei einer Petroleumlampe gearbeitet. Nur bei den Mahlzeiten muß der Tisch geräumt werden und eine kleine Pause wird eingelegt. Näh maschinen gibt es natürlich nicht, daher müssen alle Nähte mit der Hand genäht werden. Damit nun lange Nähte keine Falten bekommen oder der Stoff am Ende ungleich lang ist, verwendet man den Nähstock. Die beiden Enden eines Stoffes, der zusammengenäht werden soll, wer den mit Nadeln am Nähstock befestigt, und nun wird die lange Naht durchgenäht, unter leichtem Zug, so daß der Stoff immer parallel bleibt; aber auch zum Endeln und Trennen wurde der Näh stock verwendet. Ein aus Holz oder zum Teil aus Metall hergestelltes Gestell, siehe Abbildung, auf welchem am oberen Teil ein Nadelpolster an gebracht ist, wird mit seinem unteren Ende mit einer Spindel an der Tischkante angeschraubt. Der Nähstock war der wichtigste Behelf der Schneiderin, aber auch der Bürgersfrau und der Bäuerin bei der Näharbeit. Wenn die Näherin am Bauernhof arbeitete, halfen natürlich die Bäuerin, die Töchter oder die Mägde nach Anleitung der Schneiderin fleißig mit. Der Nähstock wurde meistens im „Hausfleiß" hergestellt. Das heißt, ein Bauernsohn oder ein Knecht fertigte mit großer Liebe an langen Win terabenden so einen Nähstock an; verziert und mit eingeschnitzter Jahreszahl schenkte er ihn dann seiner Herzallerliebsten. Aber auch handwerklich wurden solche Näh stöcke erzeugt und dann auf Kirchweihfesten und beim Krämer feilgeboten. Die Nähstöcke wurden bis in die zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts verwendet, da es zu dieser Zeit am Bauernhof nur vereinzelt Handmaschinen gab und nur sehr selten Tretmaschinen. Die Näherin ging nicht nur in die Bauernhäuser, sondern auch zu bürgerlichen Familien in die Stör. Auch andere Handwerker, so der Binder, Sattler, Schuster, Korbflechter u. a. machten auf der Stör Ausbesserungsarbeiten imd Neuanferti gungen am Bauernhof. Heute, in tmserer schnelllebigen Zeit kann man sich das nicht mehr vor stellen. Handwerksgeräte aus dieser Zeit werden als Erinnerxmgsstücke, so auch der Nähstock, in unserem Heimathaus in Bad Hall-Pfarrkirchen aufbewahrt, als Zeuge vergangener Handwerks arbeit. Fritz Thoma

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2