OÖ. Heimatblätter 1975, 29. Jahrgang, Heft 3/4

der sich ein Jahr innerhalb der Stadtmauern auf hielt, wurde von seinen Pflichten gegenüber dem früheren Grundherrn entbunden. Man kann sich denken, daß diese Rechte eine beträchtliche Anziehungskraft ausgeübt haben. Anderseits be schränkte der Zunftzwang weitgehend den unge ordneten Zuzug. Innerhalb der Städte bestanden recht unterschiedliche soziale Positionen. Voll bürger — und damit Besitzer sämtlicher Freiheits rechte — war nur die sehr kleine Schicht der Kaufleute, die alleine das Handelsrecht besaß. Diese Kaufleute waren oft mit dem ländlichen Adel, der Ritterschaft, verwandt und manchmal auch Herren über ländliche Untertanen®. Eine zweite Schicht innerhalb der Stadt bildeten die Handwerker, die ungefähr im gleichen Abhän gigkeitsverhältnis zu den Kaufleuten und dem Stadtrat standen wie die Bauern zu ihren Grund herren. War die gesamte Stadtwirtschaft ursprünglich genossenschaftlich angelegt — inwieweit diese Organisationsform auch für die ersten ländlichen Siedlungen in den Rodungsgebieten zutrifft, ist umstritten —, so erweist sie sich seit dem 15. Jahrhundert zunehmend als unfähig, eine annähernd gleiche Verteilung der Lebenschancen zu gewährleisten®. Soziale Konflikte in Form von Aufständen und Streiks spalteten die Zünfte. In den größeren Städten wie in Linz, Wels oder Freistadt kam es zu wiederholten Kämpfen zwi schen dem Patriziat auf der einen Seite, den Handwerkern und dem städtischen Proletariat andererseits. Diese Unruhen dürften beträchtlich zur erhöhten Konfliktneigung der spätmittel alterlichen Gesellschaft beigetragen haben und nicht ohne Vorbild Wirkung für die Bauern gewe sen sein. Eine Untersuchung der sozialen Schichtung in den Städten zeigt, daß in Enns im Jahre 1429 ungefähr 60 Prozent der Bevölkerung zu den unteren Steuergruppen zählten, in Linz dagegen nur knapp die Hälfte (47,4 Prozent). Der Mittel schicht gehörten in Linz 47,7 Prozent und in Enns 30 Prozent an, während die Oberschicht, die das Zehn- bis Hundertfache an Steuern zu leisten hatte, in Linz 4,7 Prozent und in Enns über 10 Prozent ausmachte''. Die sozialen Konflikte verschärften sich allgemein infolge oftmaliger Münzverschlechterungen — eine besonders hef tige Inflation brachte das Jahr 1459 — sowie durch innenpolitische Wirren (Hussitenkriege). Dazu kommt, daß mit dem Aufstieg des Hauses Habsburg zur Weltmacht sich das Schwergewicht des Handels von den europäischen Binnenmeeren zum Atlantik hin verschob und die alten Erb lande an wirtschaftspolitischer Bedeutung ver loren. Gerade aber sie waren es, welche die Hauptlast der langandauernden und schweren Türkenkriege zu tragen hatten. Aus der Auseinandersetzung der Fürsten mit ihren äußeren Feinden (wie den Hussiten oder den Türken) und mit ihren inneren Gegnern^ (den Ständen und Bauern) entwickelten sich das Söldnerheer und die zentrale Landesverwaltung. Nach kirchlichem und städtischem Muster wur den Steuern für den Ausbau des Fürstenhofes, der Bezahlung von Beamten, Richtern und Söld nern in steigendem Maß eingehoben. Die Fragen des Staatshaushaltes gewannen an Bedeutung. Zur Vereinheitlichung der Verwaltung und des Gerichtswesens setzte sich das Römische Recht durch, das jedoch von breiten Bevölkerungs schichten als Fremdkörper empfunden und des halb abgelehnt wurde. All diese Veränderungen trugen in unterschied lichem Ausmaß zum Wandel des zentralen gesell schaftlichen Strukturprinzips, der Grundherr schaft, bei. Dieses System erfüllte bis zum Jahre 1848 die Funktion der sozialen Statuszuweisung, wonach sich zwei große Bevölkerungsschichten voneinander unterscheiden lassen: Die Herren als die Inhaber der Grundherrschaften und die von ihnen mehr oder weniger abhängigen Unter tanen. Inhaltlich gesehen bestand die Grundherr schaft aus einem „Komplex von Rechtstiteln an Grund und Boden oder auf Erträgnisse von Grund und Boden"®. Dieses wechselseitige Normensystem berechtigte den Herrn, seinen Besitz gegen bestimmte Natu ralabgaben, Dienstleistungen oder Geldbeträge zur Bewirtschaftung zeitlich befristet oder auch erblich zu verleihen. Der Grundherr konnte da- ' Vgl. Hoffmann, Alfred, a. a. O., S. 52. ' Vgl. Hoffmann, Alfred, a. a. O., S. 26. ' Nach Hoffmann, Alfred, a. a. O., S. 56. ® Hoffmann, Alfred, a. a. O., S. 26.

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