OÖ. Heimatblätter 1975, 29. Jahrgang, Heft 3/4

schauen: „Nichts ist umsonst, kein Todesschrei und kein Lebenshauch, nichts geht verloren . .. kein Blatt vom Baum herab, kein kleinster Kieselstein im Bach ... und auch kein Wort, das der Münzer gesprochen hat.. Die elf Bilder der Münzer-Tragödie übertreffen durch ihre Konzentrierung auf das Wesentliche und den bühnenerfahrenen Blick für die drama tische Konstellation Wolfs frühere Bauernkriegs tragödie beträchtlich. Im ganzen gesehen schlägt das Werk Friedrich Wolfs, wie man richtig er kannt hat, „die Brücke vom idealen ,0-Mensch'- Pathos der ersten Nachkriegszeit zu dem erregen den Reportagestil der neuen Sachlichkeit. . Eine Sonderstellung innerhalb der Dichtungen vom Bauernkrieg nimmt ein Bühnenwerk des gebürtigen Pragers Franz Hauptmann (1895— 1970) ein. Es heißt „Bauernkrieg" (1936 urauf geführt, 1938 in Buchform erschienen, auch unter dem Titel „Nächtliche Einkehr" aufgeführt). In diesem dreiaktigen Schauspiel gibt es keinen Aufwand an Szenen und Personen. Im engen Raum einer Bauernhütte geht alles vor sich, im wesentlichen zwischen sechs Menschen spielend, ohne Zeit- und Schauplatzwechsel. Und doch ist diese Dichtung voll innerer Spannung. Der erste Akt gibt ein konzentriertes Bild von der Seelen lage jener bewegten Zeit. Die aus Aberglauben, religiöser Sehnsucht und sozialer Not sich zu sammensetzende Umbruchstimmung liegt wie die drohende Atmosphäre eines Gewitters über den Ereignissen. Der zweite Akt führt den alten Kurfürsten, der mit seiner Begleitung, dem Ritter und dem Bruder Johannes, Schutz vor dem ein brechenden Unwetter sucht, in die Hütte des Bauern, der mit seinem Weibe und dem Bauern hauptmann Joß Fritz der Fahne des „Bundschuh" Treue geschworen hat. Der Bauer, von der neuen evangelischen Lehre und ihrem Prediger, der die Freiheit eines jeden Christenmenschen verkün det, Rettung vor der Willkür der Herrenschicht erhoffend, fühlt sich von den Reden des Bruders Johannes, der nur im Geist predigt, doch seine Worte nicht durch Taten verwirklicht, zutiefst enttäuscht^-""'. Er wird irre an seinem Glauben und dadurch an der Seite des Joß Fritz auf den Weg der Gewalt gedrängt. So bekommt er schließlich die Schwerter der in seiner Hütte Ruhenden in die Hand und erlangt Macht über Leben und Tod seiner Gegner. Im wirksamen Schlußakt des Dramas aber vollzieht sich die innere Wandlung des Bauern, der zum Sinnbild des verlassenen Menschen seiner Zeit wird. Aus der Not und Verlassenheit des Entrechteten ringt er inbrünstig um Gott. In diesem Ringen ist er nur auf sich selbst gestellt, verraten von allen: von seinem Weib, das in der Schicksalsnacht die Geliebte des Bauernhauptmanns Joß geworden ist, von diesem selbst, der ihm sein Weib und den Glauben an die gerechte Sache geraubt hat, und von Bruder Johannes, dessen große Worte mit der Schmählichkeit seines Tuns und Lassens nicht in Einklang zu bringen sind. Nur der greise Kurfürst, der schon an der Schwelle des Todes steht, zeigt wachsendes Verständnis für die seeli sche Not des Bauern, der als Rächer und Richter vor ihn tritt. Da wirkt Gott das große Wunder an dem einfachen Menschen: Der Bauer läßt das Schwert sinken, er ist Herr geworden über sich selbst. Sie alle sind nun klein vor ihm: sein Weib, der Bundschuhhauptmann Joß, der Bruder Johannes, der wetterwendische Ritter. Nur einer erkennt den Sieg des Bauern ganz: der Kurfürst. Er nimmt den Hut ab vor dem inneren Sieger und reicht ihm ergriffen die Hand: „Ich kann das Feuer, das aufbrennt, nit mehr wenden. Es wird brennen und zerstören, wenn ich's auch dämmen will nach deinem Beispiel, Bauer. Aber wenn ein Mensch bleibt wie dieser, soll niemand verzweifeln an Gottes Gnade"." — Franz Hauptmanns viel zu wenig bekanntes Schauspiel könnte man das Seelendrama des Bauernkrieges nennen. Es wäre wert, auch in unserer Zeit wieder beachtet zu werden. Ebenda, S. 399. Jürgen Rühle: Das gefesselte Theater. Vom Revolu tionstheater zum Soziallstischen Realismus, Köln-Berlin 1957, S. 323. Hier wird, wenn auch nicht expressis verbis, gegen Luther Stellung genommen, der bei den in Frondienste gepreßten Bauern zunächst Hoffnungen erweckte, dann aber durch sein Pamphlet gegen die rebellierenden Bauern heftige Erbitterung hervorrief. " Franz Hauptmann: Bauernkrieg. Herausgegeben von Adalbert Schmidt, Reichenberg 1938. Da die vergriffene Buchausgabe nicht zugänglich war, wird zitiert nach dem Sonderabdruck aus „Der Ackermann aus Böh men", Karlsbad 1937, S. 36.

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