Hermann Graedener (1878—1956) hat in seinem Roman „Utz Urbach" (1913) versucht, mit über steigertem expressionistischem Lebensgefühl in die tumultuarische Zeit der Bauernkriege vorzu stoßen. Alles Statische wird in Bewegung ge bracht und zu dramatischen Szenen geballt. „Ein Bauernkrieg-Fries" ist das Buch betitelt, das auf geschichtlichem Hintergrund den Aufstand der Bauern in Süddeutschland in einer kaum ertrag baren Häufung überhitzter Bilder und Episoden vor Augen führt. Die Schilderungen von Gewalt taten, Greueln und Qualen finden kein Ende. Von der Ausgelassenheit der Kirmes bis zum Ab schlachten der Gegner reichen die grellen Schilde rungen. Preß-, Sauf- und Buhlorgien, sexuelle Exzesse aller Art ermüden den Leser durch ihre ins Übermaß getriebene Wiederkehr. Die Bauern erscheinen als Rächer der ihnen von Rittern, Fürsten und Geistlichen zugefügten Unbilden. „Zug", „Sieg", „Sturz" heißen die Hauptteile. Dem erfolgreichen Aufstieg der Bauern folgt bald der Niedergang, als Schandtaten, Willkür und Uneinigkeit die Horden erfassen. Der Auf stand wird blutig niedergeschlagen. Der Schmied Utz Urbach, der Bauernführer, in dessen Person sich die Gestalten eines Götz, Geyer, Kohlhaas und Münzer zu vereinigen scheinen, fällt nicht in die Hände seiner Gegner. Er entschwindet Freund und Feind zum Zeichen dessen, daß sich sein Freiheitswille nicht brechen läßt, daß er jederzeit wiederkehren kann, wenn die Zeit zu gerechter Selbsthilfe reif ist. Die Komposition kann nicht als Stärke des Romans bezeichnet werden: Wesentliches und Unwesentliches wird mit gleicher Intensität gebracht und wortreich und bildüberfrachtet miteinander vermengt. Eigenwillig wirkt der expressionistisch aufge peitschte Stil mit seinen archaisierenden Ver brämungen. Er gefällt sich in ungewohnten Wortbildungen, die sich förmlich überstürzen. Kaum zu dämmen ist die Flut von Adjektiv bildungen wie sprießlebig, grillgellig, jauchzbrüllig, schmitzlachig, leisschleichig, fladcerzischig, seelblinkig, freudschmettrig, gellschnittig, naßrunsig, kraftschmiegig, plumpfsturzig, liebwutig, sehnheftig, nachtdobrig usw., von Sub stantiven wie Wuchsgeschöpf, Klirrsturz, Marteranbettum, Demutshochmut, Wandelgewim mel, Wehrgeblinz, Hiebgetob, Schrittgeschrupp, Büchsgelehn, Erdgewerf, Hufschlagspritz usw., von Verben wie flimmsen, zippeln, grillern, zwintschen, sumbeln, schreitein, schnippern, zuckeln, zünseln, gneischen, streichelschmeicheln, wieseln usw. Im Satzzusammenhang hört sich das an einem wahllos herausgegriffenen Beispiel (Schilderung eines frühen Morgens) fol gendermaßen an: „Nebelnächtig in der Dunkel früh aus der Dunstfeuchten rinnt's rieslig, Wuschelt, wascht in Waldzweigen Knospenknoppern Grüngras, streift schwirmt nebelnässig nie der in einer Wärm' mit Windwehen, träufzittrigs Sprühgesink nieder um und um. Auf der Straß naßrunsig rennen Fließläufle, klischen die Tropf spritz drauf .. Ebenso eigenwillig verfährt Graedener mit dem Naturgeschehen und läßt bedenkenlos im schwäbischen Heilbronn schon zu Ostern die Linden blühen®^. In ein früheres Stadium der Bauernkriege führt Friedrich Wolf (1888—1953) in seinem Schau spiel „Der Arme Konrad" (1924). Unter dieser Bezeichnung versteht man neben dem „Bund schuh" einen Zusammenschluß der leibeigenen Bauern Süddeutschlands, die schon 1514 gegen ihre Gewaltherren auftraten und „Nichts als die Gerechtigkeit Gottes!" auf ihre Fahnen schrieben. Die Anregung zu seinem Drama empfing der Autor 1923 auf der Rauhen Alb, wo er damals als Landarzt tätig war. Dort erlebte er ein Fas nachtspiel, in dem die Bewohner des Dorfes Großelfingen ein „Narrengericht" aufführten: Zwei Ritter, welche die Frühlingstaube (den Freiheitsvogel) gestohlen haben, werden von der Dorfgemeinde zum Tod im Brunnen verurteilt. Aus dem Spiel wird Ernst, die Bauern rechnen mit ihren Unterdrückern ab®^. Aus diesem Kern Hermann Graedener: Utz Urbadi. Ein BauernkriegFries. Zitiert nadi der zweiten Auflage, Jena 1924, S. 103. " Die Stelle lautet: „Von Lindebäum, Hollerbüsch geht in Gassen und Stätten hin her saftsüß ein Blühriedien mit'm warmen Windwehen würzduftig ganz her durdis Heilbronn die frei Reichsstadt in der Ostersonn." Hermann Graedener: Utz Urbach, a. a. O., S. 226. Dieses Naturgesdiehen wird kurz darauf nochmals wiederholt: ebenda, S. 264. Friedrich Wolf berichtet dies im Nachwort „Zum Spiel und zur Sache", anschließend an den Text des Schau spiels. In: Friedrich Wolf: Gesammelte Werke in sech zehn Bänden, Band 2, Dramen, herausgegeben von Else Wolf und Walther Pollatsdiek, Berlin 1960, S. 76 f.
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