geschichtliche Dichtung eine Bewährungsprobe für den Gestalter abzugeben: Der Dichter kann den historischen Ablauf in die Tiefendimension der inneren Zeit betten; er kann das Dargestellte in einem zweifachen Lichte aufscheinen lassen, vom Vergangenen wie vom Künftigen her, er ist in dieser Hinsicht (nach einem Wort, das Friedrich Schlegel auf den Historiker anwendet) ein rückwärtsgewandter Prophet. Er kann die Dynamik der Vorgänge verstärken, locker Ge fügtes verdichten. Auseinanderliegendes zusam mensehen. Der geschichtliche Raum wird zu einem Erlebnisraum, dessen Atmosphäre mit schöpferischer Energie geladen ist. In des Dich ters Hand liegt die Wahl der Perspektive, er kann durch entsprechende Verkürzungen, durch Weglassen des Unwichtigen das Dargestellte verwesentlichen und vertiefen und so Profile schaffen, die eine höhere Wahrheit haben als ihre originalen Entsprechungen. Doch auch der Gefahren sind viele, vor allem bei der willkür lichen Umdeutung geschichtlicher Ereignisse und beim Visieren des Vergangenen auf den Gegen wartshorizont der Aktualität. Solche Gefahren wachsen, wenn der Autor bedeutende geschicht liche Persönlichkeiten wählt, die durch ihre Lei stung und Wirkung schon geistesgeschichtliche Gestalten geworden sind, so daß eine Umdichtung oft nur zu Verzerrungen ihres Wesensbildes führt. Geschichtliche Randfiguren dagegen ent ziehen sich der Kontrolle einer historisch kundi gen Leserschaft, sie lassen sich vom Dichter unwidersprochen zu Exponenten einer Zeit oder Idee erheben. Die geschilderten Merkmale sind in mannig fachen Differenzierungen in allen Bereichen historischer Dichtung zu finden, also auch im engeren Bezirk der „Bauernkrieg"-Thematik, die sich im wesentlichen an den geschichtlichen Hintergründen des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts entfaltet. Der Bauernkrieg ist nur eine Episode innerhalb der großen Bewegung der Reformation. Obwohl es schon vor dieser da und dort Bauernaufstände gegeben hatte (den „Armen Konrad" und den „Bundschuh" im deutschen Südwesten), hat Luthers Auftreten und Lehre den ersten Anstoß gegeben. Neben der Geistlichkeit werden auch Bürger und Bauern mündig, sie lernen die Kunst des Lesens und Auslegens der Heiligen Schrift unabhängig von autoritärer Führung. In diesem Sinne konnte der schweizerische Reformator Zwingli schreiben: „Eines jeglichen Bauern Haus ist eine Schule, darin man Neues und Altes Testament, die höchste Kunst, lesen kann®." Freilich verlagert sich die Bewegung vom reli giösen in den sozialen und Sozialrevolutionären Bereich, worauf Luthers Ruf zur Mäßigung und seine „Ermahnung zum Frieden" erfolgt und schließlich seine polemische Schrift „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern" erscheint. Luthers Gestalt wandelt sich denn auch in den diversen Dichtungen vom anfänglichen Bundesgenossen zum Gegner der Bauern, die letztlich auch ihn jenen Pfaffen zu zählen, die sich auf die Seite der Grundherren stellen. Die Forderungen der Bauernschaft, wie sie in den zwölf „Hauptartikeln", von dem Kürschner Sebastian Lotzer und dem Prediger Christoph Schappeler zusammengestellt, erhoben wurden, sind als maßvoll zu bezeichnen. Man verlangt, unter häufiger Anlehnung an Bibel worte, „nichts denn die Gerechtigkeit", Freiheit in der Pfarrerwahl und Predigt, Abschaffung der Leibeigenschaft, Beseitigung der Privilegien der Herrenschicht, besonders im Jagd- und Fischerei wesen. Aber man will verhandeln, nicht Gewalt üben. Erst das Auftreten von Fanatikern und Schwarmgeistern von der Art eines Thomas Müntzer bringt Aufruhr gegen die Obrigkeit in die Reihen der Bauern. Das im Naturrecht gründende Rechtsgefühl, das — um ein Wort Heinrich von Kleists aus seinem „Michael Kohl- ® Huldreich Zwingiis sämtliche Werke, Zürich 1959 ff., Bd. 3, S. 463. — Vgl. zum Thema; Joseph Lortz: Die Reformation in Deutschland, 2 Bde., 4. A. Freiburg i. Br. 1962. — In knapperer Form; Joseph Lortz, Erwin Iserloh: Kleine Reformationsgeschichte. Ursachen — Verlauf — Wirkung. Herder-Bücherei, Bd. 342/343, Freiburg i. Br.-Basel-Wien 1969. — Ferner; Adolf Wflfls; Die Bauern im Kampf um Gerechtigkeit 1300 bis 1525, München 1964 (mit zahlreichen zeitgenössi schen Druckbeilagen und Bildwiedergaben). — Bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft in Darmstadt be findet sich in Vorbereitung ein von Rainer Wohlfeil herausgegebenes Werk; Der Bauernkrieg 1524/26 mit neun Aufsätzen über das Thema und seine Probleme. Erscheint im Herbst 1975.
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