OÖ. Heimatblätter 1975, 29. Jahrgang, Heft 3/4

Der Bauernkrieg in literarischer Sicht Von Adalbert Schmidt Mit 2 Textbildem Seit eh und je hat die Dichtung aus dem reichen Reservoir der Geschichte geschöpft. Geschichte bedeutet zweierlei; das Geschehen als Ablauf von Ereignissen und die Aufzeichnung dieser Vorgänge durch die Historie, die Geschichts wissenschaft. Die Historie als Fachdisziplin ist mit der Aufgabe betraut, aus der unüberseh baren Flut der Geschehnisse das ihr wichtig Scheinende herauszuheben und in gemäßer Art darzustellen. Als Nachgestalterin des Geschehe nen kann auch die Geschichtswissenschaft künst lerisch verfahren, sie ist Reproduktion ebenso wie Produktion, und also hat auch der Historiker Anteil am schöpferischen Prozeß. Um wieviel mehr der Dichter, der die Sicht auf die Vorgänge mit der Tiefenschau seiner intuitiven Erkenntnis verbindet. Solche Erkenntnis ist der wissenschaft lichen Betrachtung keineswegs unterlegen: „Die Dichtung analysiert den Menschen nicht, sondern sie stellt ihn dar. Ihre Darstellung kann Ergeb nisse wissenschaftlicher Analysen enthalten, die sich der Dichter angeeignet hat, sie kann auch ohne solche Kenntnisse allein aus privater Er fahrung und Intuition schöpfen — das ist ohne Belang. Denn nicht auf die wissenschaftliche Haltbarkeit, sondern auf die dichterische Über zeugungskraft ihres Menschenbildes kommt es an. Wodurch es überzeugt oder zu seiner Zeit überzeugt hat, ist freilich generell nicht zu sagen, weil die Kriterien mit den Epochen wechseln. Vorausgehen mußte aber wohl zu allen Zeiten der Eindruck, das Bild sei wahr, weil es die Wirklichkeit des Menschen treffe^." Die Kriterien wechseln mit den Epochen. Das wird den Dichtern der jeweiligen Zeit zu einer Erfahrung, wie sie unter anderen Heimito von Doderer (1896—1966) besonders bewußt gewor den ist. Doderer war auch Historiker — er hat immer mit Stolz hervorgehoben, daß er Mitglied des Instituts für österreichische Geschichtsfor schung sei — und meint, man müsse Geschichte sehen wie eine erweiterte eigene Vergangenheit. So wie ein Mensch im Laufe seines Lebens zu manchen Teilen seiner Vergangenheit eine lebendigere Beziehung gewinnt als zu anderen, die ihm gleichgültig bleiben, so ergeht es ihm und seiner Generation mit der Geschichte: „Jedes Zeitalter hat seine Vorlieben unter den vorhergegangenen Perioden, und das nennt man dann Renaissance oder Romantik oder Klassi zismus oder sonstwie ... an solchen Kehren leben ganze Völker und Kulturkreise dicht an einem früheren Abschnitte, ja tatsächlich viel näher als etwa am Jüngstvergangenen. Gebärden und Fühlweisen und Denkweisen kehren wieder, und selbst die Landschaft wird in der wieder erwachenden Art von ehemals gesehen; jedoch auch diesmal ist's ja etwas gänzlich Neues, Frisches — und so wird es auch erlebt! —, denn eigentliche Wiederholungen gibt es nicht. Jedes mal aber muß die ganze Vergangenheit neu geordnet und gesichtet werden, da ja jedesmal ihr Schwerpunkt, nach welchem sich alles richten muß, anderswohin verschoben ist: nämlich in eine andere Gegenwart, und das heißt aber zugleich auch in einen anderen, jetzt tief innerlich verwandten und höchst gegenwärtigen Teil der Vergangenheit. Deshalb ist jede echte Geschichtsschreibung, wie ein großer Denker ge sagt hat, Geschichte der Gegenwart, mag sie auch jeweils mit Römerzeiten oder dem hohen Mittelalter oder irgendeiner anderen Zeitspanne sich befassen. Nein, die Vergangenheit ist nichts Festliegendes, wir gestalten sie immer neu^." Der Dichtung ist damit im besonderen ein weites Feld eröffnet. Geschichtliche Dichtung w'rd zu einer Mischform, in der dichterische, geschicht liche und biographische Aspekte einander durch dringen. Die Grenzen zwischen dichterischer Ge staltung und historischem Porträt sind oft fließend. Der geschichtliche Gegenstand kann für den Darsteller verschieden sein: Er kann einer historischen Einzelperson gelten oder dem Zeit bild einer Epoche mit erfundenen Gestalten. Die Darstellung kann auf Chronikal'sches oder Psychologisches, auf Ideengeschichtliches, Kultur oder Sozialgeschichtliches abgestimmt sein. Oft liegt alles Historische nur als Maske über Per sonen und Ereignissen, die die Gegenwart bewe gen. Trotz solcher Zwitterbildungen vermag ' Wolfgang Binder: Das Bild des Menschen in der modernen deutschen Literatur. Schriften zur Zeit im Artemis Verlag, Heft 31, Zürich 1969, S. 7. ^ Heimito von Doderer: Die Dämonen. Nach der Chro nik des Sektionsrates Geyrenhoff. Roman. München 1956, S. 109 f.

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