geringste Abweichung von der kirchlichen Lehre mit dem Tode büßten, während der einfache Bürger jede Aufmüpfigkeit gegen den Adel schwer zu bezahlen hatte, blieb Clopinel gänzlich unangefochten. Der Stand, dem er die bittersten Anklagen entgegenschleuderte, die „plus fors", der Hohe Adel, fand im Gegenteil größtes Gefal len an seinem opus. Mit Eifer machte man sich an seine Vervielfältigung, so wanderte es bald durch ganz Frankreich und von hier nach den Nieder landen und England (doch nicht nach Deutsch land), wanderte von Hand zu Hand, von Schloß zu Schloß. Das Ausmaß seiner Verbreitung läßt sich an dem Umstand ablesen, daß es auch heute noch 20 handgeschriebene Exemplare des Rosen romans gibt. Sogar die Zeit konnte dem mon strösen Versepos kaum etwas anhaben: nach Entdeckung der Buchdruckerkunst wurde es flei ßig neuaufgelegt, man zählte allein in Paris 14 Ausgaben während eines Menschenalters. Was machte den Adel so nachsichtig gegen dieses Werk? Zweifellos waren es die zotigen Pas sagen, die die aufrührerischen deckten. In der grobsinnlich entstellten Symbolik des Rosen motivs war ein brisanter Stoff abgelegt worden und wurde als solcher übersehen oder gedanken los hingenommen. Der Rosenroman des Clopinel profitierte vielleicht als erstes Literaturwerk von der speziellen Reizverfallenheit einer Führungs schichte, die nicht wachsam genug war, um die hier geschickt verballhornte geheime Verführung zur Selbstaufgabe zu wittern. Der Vollzug dieser Selbstaufgabe ließ freilich bis zu den Tagen von Beaumarchais und Philipp Egalite noch lange auf sich warten. Es dauerte fünf Jahrhunderte, bis sich die bei Clopinel for mulierte Vor-Aufklärung in tätige Gesinnungen umsetzte; denn die Aufstände, die wir nach Clopinel im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit zu registrieren haben, zeigen fast alle samt nach wie vor eher Züge eschatologischer Erwartungshandlungen als solche der Rationali tät. Vor allem auf dem Lande blieb jeder Befreiungs versuch im Bannkreis religiöser Motivationen. Auf den starken Konnex zwischen dem großen deutschen Bauernkrieg und der Reformation braucht hier nicht mehr hingewiesen werden. Die Rückkehr zum „reinen" evangelischen Christen tum, die in Luthers Lehre vollzogen schien, muß die in urtümlicheren Verhältnissen lebenden Menschen auf dem platten Lande besonders an gesprochen haben. Der plötzlich aufflammende Zorn auf die alte Kirche, auf den „Papismus", hatte sicherlich tiefe psychologische Wurzeln. Man mißtraute plötzlich, wo man so lange ver traut, man verdächtigte, wo man so lange selbst mitagiert, mitgehofft, mitgeopfert hatte. Das ungeheure eminent kulturträchtige, doch zugleich auch kulturbedingte Gebäude der katholischen Kirche mit allen seinen nachträglichen liturgi schen, theologischen und juristischen Zutaten erschien dem einfachen Mann von heute auf morgen wie ein künstlich angehäuftes Sammel surium ausgemachter Spitzfindigkeiten, von dem er nur allzuleicht annahm, es sei bloß zu seinem Schaden, zu seiner Knechtung und Knebelung ersonnen worden. Darum wollte man „das Bei werk" los- und des Kernes wieder innewerden, wollte einfach und herzlich nichts weiter als Christenmenschen und erlöste Kreatur sein. Darum die Tendenz zur Erwachsenentaufe bzw. Wiedertaufe, die auch dem Sündigsten eine totale Regeneration und ein „neues Leben" verhieß. Um 1520 schlugen die Wogen hoch um Thomas Münzer und die Zwickauer Propheten. Vier Jahre später brach der Bauernkrieg in Schwaben und Franken aus. Er brachte weitere Verwirrung in die ohnehin schon verworrenen Fronten der Reformation. Mächtig wirkte das Beispiel der Schweiz und ermutigte die Aufständischen zu den bekannten zwölf Artikeln, in denen unter anderem die freie Wahl des Ortspfarrers und die Abschaffung der Feudallasten gefordert wur den. Natürlich blieb der gefürchtete und berüch tigte „furor rusticorum" nicht aus. In Goethes „Götz" wird er uns bühnendramatisch vor gestellt. Luthers Entsetzen über die frevelhaften Bauern ist bekannt. So hatten die ungeordneten Bauernheere schon jedes moralische Prestige ver loren, ehe sie sich zu den vernichtenden Schlach ten bei Frankenhausen, Sindelfingen und Königs hofen stellten. Auch im Salzburgischen erlag der Aufstand bin nen kurzem. Nur die Tiroler konnten unter
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