sucht der reiche Kaufmann Etienne Marcel mit Hilfe der Pariser plebs eine quasi demokratische Kontrolle des Staatsapparates aufzurichten. Und der Aufstand unter Wat Tyler in England, der in der Grafschaft Essex ausgebrochen war, wälzte sich, von der Sympathie anderer Städte unter stützt, auf London zu. An der Spitze der Rebel len standen neben Tyler, dem Ziegelbrenner aus Maidstone, ein paar entlaufene Priester. Die Massen erstürmen unter dem ersten kommuni stischen Kampflied der abendländischen Ge schichte, das ganz offenbar naturrechtliche Ele mente enthält, den Tower: „Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?" — Doch Tylers Bewegung erlitt dasselbe Schicksal wie ihr Vorgänger in Frankreich: nachdem Tyler gefallen war, liefen seine Anhänger auseinander und wurden, versprengt und verstört, wie sie waren, von der Rache der siegreichen Herren eingeholt. In Frankreich wurden die nahezu unbewaffneten Bauernhaufen von den schwer gepanzerten Rittern mit Leichtigkeit nieder gemetzelt. Ganze Landstriche waren danach men schenleer. Teuer bezahlte Episoden. Hier wäre es vielleicht am Platz, auf ein Werk der Literatur hinzuweisen, das schon achtzig Jahre vor dem französischen Bauernaufstand und den demokratisierenden Versuchen Marcels, hundert Jahre vor Wat Tyler entstanden ist. Es wurde um 1280 in Paris geschrieben, im Wir kungskreis der Sorbonne, an der damals die Scholastik brillierte. Der Name des Autors ist bekannt: Jean de Meung, genannt Clopinel. Sonst wissen wir wenig Sicheres über ihn. Die einen bezeichnen ihn als Domherren, die anderen als entlaufenen Kleriker und Vagabunden. Auf jeden Fall war er ein gelehrter Mann, ein Viel wisser nach dem Maßstab der damaligen Zeit, beeinflußt von spätantiken Überlieferungen, als Dichter unbedeutend, als Denker aber radikal und banal zugleich; von französischen Forschern wird er gern als erster Vertreter typisch gallischer Geisteshaltung bezeichnet, als erster Protagonist der Aufklärung, ja der Französischen Revolution. Und in der Tat enthält sein Werk, der Roman de la Rose, eine Fülle von kritischen umstürzle rischen Gedanken, eine entschlossene Absage an das affirmative Strukturbewußtsein des hochmit telalterlichen Weltbilds, vor allem in Belangen des Politisch-Sozialen. Der Roman de la Rose ist das einzige erhaltene Werk seines Autors, ein wahres monstrum in seiner Art; 20.000 Verse, eine figurenreiche Allegorie um das Liebessymbol der Rose. Begon nen war das Werk von einem anderen Autor, einem jungen höfischen Dichter, Guillaume de Lorris, der um 1230 gestorben war. Darin geht es noch höfisch sittsam, idealistisch und hochgesto chen zu. Da sich das Fragment sogar als solches einiger Beliebtheit erfreute, reizte es Clopinel, fünfzig Jahre später damit fortzufahren. Doch Tun und Gesinnung hatten sich durchaus ver ändert. Ein platter Realismus trumpft grobianistisch auf und gipfelt in langen pornographischen Passagen. Dazwischen: Zeitkritik eingestreut, aber immer von neuem wiederholt und variiert, Kritik am Königtum, an den Bettelorden, am Adel, an den habsüchtigen Bürgern. Pessimisti scher Grundton: „Li plus fors le plus fieble robe." Der Stärkste plündert den Schwächsten. Eine verderbte Welt. Doch sie war nicht immer ver derbt: sehnsüchtig richtet sich der Blick des Autors in die Vergangenheit, in das goldene Zeitalter, da die Menschen untereinander alle noch gleiche waren: „N'encor n'avoit fet roi ne prince Meffais qui l'autrui tolt es pince. Trestuit pareil estre soloient, ne riens propre avoir ne voloient." Noch war kein König oder Fürst gemacht, kein Spitzhuh, der die anderen quälte, ein jeder war dem andern gleich, und niemand wollte Eigentum besitzen. Da sie nichts zu besitzen strebten und keine Herren über sich hatten, da gab es noch reine Liebe „Amors loiaus et fines, sans covoitise et Sans rapine", noch waren Begehrlichkeit und Raffsucht nicht geboren, die Menschen lebten ohne Leistungsdruck und in totaler „compaignie", die sogar im geschlechtlidien Bereich grenzenlos und von höchster Ungezwungenheit war: „So tex couches cum ge devise, s-entre
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