nur die endlosen kriegerischen Verwicklungen, sondern gewiß auch die Unergiebigkeit der da mals üblichen agrarischen Nutzungsmethoden. Vom 11. Jahrhundert an aber ändert sich die Szenerie. Die Lage bessert sich. Die Zweifelder wirtschaft wird durch die Dreifelderwirtschaft abgelöst, ein besserer Pflug wird erfunden, die Viehwirtschaft intensiviert, es entwickeln sich allerlei Seitenzweige agrarischer Tätigkeit, wie der Weinbau auch nördlich der Alpen, Rapsbau, Imkerei und Kleintierzucht. Man ißt sich wieder — oder vielleicht auch zum erstenmal in unseren Regionen — wenigstens dann und wann einmal satt. Eine glückliche Zeit. War das Klima besser ge worden? Auch die Menschen vermehren sich. Es entstehen Städte aus frischer Wurzel oder, wie in den ehemals römisch beherrschten Gebie ten, auf den Trümmern antiker Mansionen. In ersten schüchternen Versuchen setzt der mensch liche Geist auch dazu an, die soziale Wirklichkeit zu definieren und in sinnvollen Relationen zu deuten. So erklärt um 1025 der Bischof von Cambrais in seiner berühmten Ständelehre: Genus humanum divisum est in oratoribus, agricultoribus, pugnatoribus. Horumque singulos alter utrum dextra laevaque foveri evidens documentum dedit. Das menschlidie Geschlecht ist eingeteilt in Beter, Bauern und Soldaten; es ist klar, daß sie in gleicher Weise, wie die rechte und die linke Hand (miteinander koope rieren), einander zu unterstützen haben. Der Geist des Hochmittelalters, dieser bejahende optimistische, von der harmonia mundi über zeugte und von ihr durchdrungene Geist will es nicht anders wahrhaben, als daß die Ordnungen auch dieser Welt bis in ihre untersten Gliederun gen in der allumfassenden ordo universalis mit enthalten und damit auch mit-gerechtfertigt seien. Dem Hochgesang auf diesen schönen, beruhigt in sich ruhenden Kosmos mischen sich freilich bald andere Töne bei und machen sicht bar, daß der tragische Aspekt dieser Harmonisie rung in geheimer Bitterkeit mitempfunden wird: Propter peccatum primi hominis, humano generi poena divinatus illata ist servitutis, ita ut quibus aspicit non congruere libertatem, his misericord'us irroget servitutem. Et licet peccatum hominae originis per batismi gratiam cunctis fidelibus dimissum sit, tamen aequus Deus ideo discrevit hominibus vitam, alios servos constituens, alios dominos, ut licentia male agendi servorum potestate dominantium restringatur. Der Sünde wegen, die der erste Mensch beging, wurde über das ganze menschliche Geschlecht die Strafe der Knechtschaft verhängt, so daß jenen, denen ein freier Stand offenkundig nicht zukommt, der Stand der Dienst barkeit zugesprochen wurde — und zwar barmherziger weise. Denn obgleich die Erbsünde durch die Gnade der Taufe allen Gläubigen vergeben wurde, hat doch der gerechte Gott den Menschen ein unterschiedliches Leben zugeteilt, so daß die einen Diener, die anderen Herren seien, auf daß die Dienenden durch die Macht der Herren daran gehindert werden. Böses zu tun. So ein Bischof Burchard von Worms um das Jahr 1010. Wir merken: in diesem Text kündigt sich, wenn auch nur schattenhaft, etwas Neues an. Hier wird eine Gesinnung bereits überanstrengt, einem sublimem Weltbild wird abgefordert, was es nicht mehr sehr lange zu leisten fähig sein wird, nämlich einen Sinnzusammenhang auch dort noch zu hypostasieren, wo die Wirklichkeit eine andere und sinnfälligere Sprache spricht. Das Hochmittelalter war eine Zeit relativen sozialen Friedens. Aus dem 10. Jahrhundert wird uns noch ein Bauernaufstand aus der Normandie gemeldet. Dann folgte eine mehr als zweihundert Jahre lange Zäsur. Doch mit dem Ende der Stauferzeit geht auch diese verhältnismäßig gedeihliche Epoche zu Ende. Eine schwer definierbare, schwer erklär liche Unruhe bemächtigt sich unseres Kontinents. Die biologische Fruchtbarkeit der Völker erfährt einen Knick, aber einen Knick erfährt auch die vorher so deutliche Entschlossenheit, Welt und Leben durch praktische Leistungen zu bewälti gen. Die vor kurzem noch blühende Landwirt schaft verfällt. Die Dörfer entleeren sich, aber wohin? In die Städte? Noch ist von starken Bal lungen nicht die Rede. Hat die Pest so reiche Ernte gehalten? Der Schwund der ländlichen Strukturen ist bald erschreckend. In vielen Ort schaften nimmt die Zahl der Feuerstellen (sie allein werden in den Quellen verzeichnet) um nahezu die Hälfte ab. Von diesem Rest wird
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