trat die großflächige Ausbeutung durch eine will kürlich schaltende Beamtenschaft im Namen des Staates. Der Aufstand der „Roten Augenbrauen" stürzt den reformfreundlichen Herrscher und kostet seiner Dynastie den Thron. Die konkur rierende Familie Han nimmt ihn ein. Vorerst scheint alles in besseres Bahnen gelenkt, da — makaberer Hintergrund — die Revolte der „Roten Augenbrauen" so viel Menschen gekostet hat, daß nun Land in Hülle und Fülle vorhanden ist. Doch innere Wirren verursachen neue Ver armung. 184 nach Christi Geburt bricht ein neuer Aufstand, der der „Gelben Turbane" aus, eine religiös gefärbte Volksbewegung mit eschatologischen Tendenzen. Im Verlauf dieser Revolte bricht das Reich der Mitte in drei Teile auseinander. Der Aufstand der Massen hat geschichtliche Weichen gestellt. Auch aus Japan wird ähnliches vermeldet: Der Aufstand der ländlichen Kyushu um 520 ver darb Nippon das Konzept, sich auf Korea, also auf dem asiatischen Kontinent, niederzulassen. Sozialgeschichte machte also in jenen Zonen Weltgeschichte. Bei uns in Europa ist es freilich noch lange nicht so weit. Viele Jahrhunderte lang hören wir aus unserem Raum nichts mehr von sozialen Revolten im engeren Sinne. Die Auseinandersetzung zwischen den Besitzenden und den Habenichtsen hat des halb freilich noch lange kein Ende gefunden. Sie hat sich aber auf ein anderes politisches Feld verlagert. Die Völkerwanderung war in vielen Phasen nichts weiter als der Versuch der Habe nichtse, sich in den Besitz imperialer Reichtümer zu setzen. Die sagenhaften Berichte über das Goldene Rom, über das Schlaraffenland Italien, über die mit Kostbarkeiten überfüllten Schatz kammern der Tempel, Paläste und Kaiservillen müssen in den darbenden Völkern des Nordens und Ostens eine ungeheure Wirkung hervor gerufen haben. Freilich erwies es sich bald, daß nur die ersten Wellen der Plünderer Nennens wertes erraffen und daß schon die zweite und dritte Welle durch das zerstörte System eher belastet als bereichert wird. Der Pegel der wirtschaftlichen Effektivität sank rapide. Es ist zu vermuten, daß die meisten Menschen in Europa bis in die karolingische Zeit herauf am Rande des Hungers gelebt haben. Den Armen zu schonen fiel niemand ein, da sich auch der Reiche und Mächtige kaum zu schonen ver mochte und vielleicht auch nicht einmal dazu versucht war. Das alles beherrschende Motiv der Aggression verschüttete sogar jeden Ansatz, den eigenen Egoismus rational zu artikulieren. Als sich die Verhältnisse allmählich zu konsoli dieren begannen, zeigte es sich, daß sich in den Nachfolgestaaten des römischen Imperiums das Sozialgefüge der Antike in seinen Grundzügen als stabiles Grundmuster erwiesen imd durch gesetzt hatte. Wieder gab es Sklaven, wenn auch nicht in solchen Mengen wie früher, wieder staf felte sich die ländliche Bevölkerung in Colonen, Halbfreie und Freie, und darüber erhoben sich jetzt unter anderen Namen die hierarchischen Spitzen der großen Landbesitzer, des Adels, der Geistlichkeit, des Herzog- und Königtums. Doch wieviel Tyrannei und Willkür in diesem System Raum fanden, vergessen wir nicht: Über dieser Gesellschaft schwebte doch als höchster Grundund Richtsatz und als, wenn auch noch ferner, Bezugspunkt das von Papst Gregor d. Gr. ver kündigte Prinzip: Vor Gott sind alle Menschen gleich. So sehr dieses Prinzip der Zeit voraus eilte, so wenig es von der gesellschaftlichen Realität gedeckt war, es wirkte doch als eine Art Keimpunkt, von dem aus sich viele Jahr hunderte später Humanismus und soziale Gesin nung entfalten und ausbreiten konnten. Dieser Satz enthielt für die Unterdrückten eine Hoff nung, die für sie so ungeheuer erscheinen mußte, daß sie ihr lange nicht zu vertrauen wagten; für die Mächtigen aber enthielt er eine Verpflich tung, die ihnen ebenso ungeheuer und unabseh bar scheinen mußte, daß sie sie auszuloten weder wagten noch willens waren, willens sein konnten. Dennoch war ein Grundmaß gesetzt und wirkte als Reizwert fort. Wie bereits gesagt, war bis tief in die karolin gische Zeit Europa einer allgemeinen Verelendimg preisgegeben. Schuld daran trugen sicher nicht
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