OÖ. Heimatblätter 1975, 29. Jahrgang, Heft 1/2

her hatte er im Kreise von Wagner-Enthusiasten in Wien den Klavierauszug des „Parsifal" eifrig studiert, ja nahezu auswendig gelernt. In einer Pause der „Parsifal"-Vorstellung sieht Göllerich zum ersten Mal Franz Liszt, den Großen, scheinbar Unnahbaren, den musikalischen Neuerer, den, dessen Ehrgeiz darin bestand, ,,den Speer möglichst weit ins endlose Reich der Zukunft zu schleudern"13 . Göllerich empfand die Begegnung als den entscheidenden Augenblick seines Lebens14 . Aber noch war eine tiefere persönliche Kontaktaufnahme nicht vollzogen; auf sie mußte Göllerich weitere zwei Jahre warten. 1883 stirbt Göllerichs Vater. Dieser Tod überschattet nicht nur Göllerichs personale Entwicklung und sein Studium, er gab seinem Leben auch eine neue Richtung: So sehr sein Vater ihm Stütze und Hilfe in vielen Lebensbelangen gewesen war, er also in diesem Sinne den Tod seines Vaters tief bedauerte, so schnell löste sich andererseits für ihn jener seelische Konflikt zwischen erzwungenen technischen Studien und freier musikalischer Betätigung. Mit einem Mal sah er seinen Lebensweg frei für die Musik, ein ferngerückter Wunschtraum wurde Wirklichkeit. In einem Brief erklärte er seiner von ihm tief verehrten Mutter15 den Abschied vom Studium nüchterner Zahlen und physikalisch-technischer Lehren. Er sprach seine endgültige Hinwendung zur Musik aus. Seiner Mutter beteuerte er, diesen Schritt nicht aus einer Laune heraus zu vollziehen, sondern aus realer Einschätzung seiner Begabung verantworten zu können. Die Mutter, von der Göllerich außer musikalischer Neigung auch den Hang zu mystisch-introvertierter Religiosität geerbt zu haben schien, stimmte dem Entschluß zu, wenngleich sie ihre Sorge, ihren Sohn einer „brotlosen" Kunst nachgehen zu sehen, nicht verhehlte. Der junge August Göllerich war überzeugt von seinem Auftrag; er setzte alles daran, ihn zu verwirklichen. Eingehende Studien Schumannscher und Brahmsscher Werke, intensives Befassen mit der Harmonik Wagners und der Instrumentationskunst Hector Berlioz' (gemeinsam mit Hugo Wolf) ließen seine musikalischen Anschauungen reifen. Schriftstellerische Tätigkeit - vor allem für die Blätter des Richard-WagnerMuseums Nikolaus Oesterleins (seit 1883)16 - 40 weitete seinen geistigen Horizont. Das letzte Stadium des jugendlichen Reifeprozesses aber wurde durch seine persönliche Begegnung mit Franz Liszt im April 1884 erst wesentlich eingeleitet, nachdem er vorher im Musik-Salon des Wiener Malers Alexander Golz von Lisztscher Musik „in tiefster Seele" getroffen worden war17 . Franz Liszt pflegte, wenn er in Wien weilte, im Schottenhof bei der Witwe seines Stiefonkels, des Generalprokurators Dr. Eduard Ritter von Liszt, abzusteigen18 . Dort empfing er - wie in allen anderen Städten Europas, wohin er sich begeben hatte - Freunde, Bekannte und die ihm oft so lästigen Neugierigen, und scharte einen mehr oder weniger großen Schülerkreis um sich. Eine dieser Vertrauten, die sich zu dieser Zeit in der Nähe des Meisters befand, war die ausgezeichnete Pianistin und Schülerin Liszts, Antonia Raab, von ihm gern liebevoll „ma petite Retzoise" genannt, da sie aus Retz in Nieder13 Zit. nach Bence Scabolcsi: Franz Liszt an seinem Lebensabend. Budapest 1959, 5. 75. 14 Göllerich schreibt darüber: ,,1883 sah ich liszt bei den Festspielen, denen er nun vorzustehen sich verpflichtet fühlte, wieder. Im nächsten Jahr durfte ich mit ihm in nähere persönliche Berührung treten." In: August Göllerich: Franz liszt. Erinnerungen. Sonderausgabe in der Sammlung „Die Musik", hrsg. von Richard Strauss. Berlin 1908, 5. 1. 15 Aus „Briefe August Göllerichs an Mutter und Schwester", o. D. (Privatbesitz Franziska Göllerichs, Hildesheim). 16 Nikolaus Oesterlein, Katalog einer R.-Wagner-Bibliothek, 4 Bde. Neudruck der Ausgabe 1882-95. Tutzing 1968. 17 Göllerich schreibt: ,,Als exklusiver Schumann- und Brahms-Enthusiast war ich nach Wien gekommen, als Schüler A. Bruckners, Mitarbeiter des WagnerMuseurns, das N. Oesterlein eben aufzubauen begann, und als Freund Hugo Wolfs, der mir in stiller Stube - nahe dem Himmel - Berlioz vorlas, war ich mit meinen künstlerischen Anschauungen gereift, als mich - der im Elternhaus des Malers A. Golz eine liszt-Pflegestätte intimster Art gefunden - das Kennenlernen des lisztschen Schaffens in tiefster Seele traf. Nun stand ich vor dem Meister!" In A. Göllerich, Erinnerungen, 5. 2. 18 Vgl. Dr. Eduard Ritter von Liszt jun.: Franz liszt. Wien-Leipzig 1937, 5. 45 ff.

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