Das Studium aber bereitete ihm wenig Freude. Nicht, daß die Begabung dazu gefehlt hätte, im Gegenteil, aber sein Sinnen und Trachten stand ihm nach Wirken in musikalischem Umkreis. Gleichwohl oblag er seinen Universitätspflichten mit Fleiß und Akribie. Dringliche Bitten an den Vater, das Studium der Technik abbrechen und sich ganz den Aufgaben musikalischer Theorie und Praxis widmen zu dürfen, wurden rundweg abgeschlagen. Die selbst sehr musikalische Mutter duldete die Unerbittlichkeit des Vaters. Dennoch scheint die Haltung der Eltern einigermaßen unverständlich, wenn man bedenkt, daß Göllerich seine Eltern als „hochmusikalisch, gemütstief und für die Künste hochbegabt" beschrieb: ,,Vater, Dichter sinniger Lieder, Epen und Romane, ein bekannter deutscher Sänger, Volksvertreter voll hinreißender Begeisterungskraft, . . dem alle ... gemeinnützigen Organisationen in Wels ihre Gründung danken, ... Verfasser gern zitierter politischer Flugschriften und im Kampf mit Bischof Rudigier8 der geistvollste und festeste Verfechter echter Geistesfreiheit." Dieser August Göllerich sen. gab sich als durch und durch freisinniger Geist, der zwar nicht gegen die Kirche als Institution, dafür aber gegen manchen ihrer Vertreter zu Felde zog. Stets hilfsbereit Künstlern - vor allem Musikern - gegenüber, liebäugelte er immer wieder mit seiner Lieblingsidee eines „historischen Clavierabends" für den Bayreuther Festspielfonds. Liest man den vom jungen Göllerich verfaßten, als Bleistift-Skizze erhaltenen Lebenslauf seines Vaters9 , kann man sich über die Starrköpfigkeit dieses Beharrens auf einem technischen Studium seines Sohnes nur wundern. Sicher handelte es sich um eine von Vernunft getragene Entscheidung; denn Vater Göllerich kannte aus eigener Anschauung das bittere Los vieler Musiker; weiß man doch, daß kein geringerer als Anton Bruckner ihn in seiner großen Not um Hilfe bat. Ohne Zweifel wollte er seinem Sohn diesen harten Weg ersparen. Göllerich lernte durch seinen Vater schon sehr früh Anton Bruckner kennen10 . Der Reichsratsabgeordnete Göllerich war mit Bruckner, der in Wien durch äußere Widerwärtigkeiten viele seiner Probleme nur mangelhaft meisterte, gut befreundet. Die Begegnung mit Bruckner sollte für Göllerich genauso entscheidend und wegbestimmend werden wie die wenige Jahre später erfolgte mit Franz Liszt. Jahre später ist Göllerich Harmonielehreschüler von Bruckner an der Universität Wien11 . Der 21jährige wurde - offenbar wegen seines ausgezeichneten Klavierspiels und seiner musikalischen Begabung - zum Vorstand der „Gesellschaft der Musikfreunde" in Wels bestellt. Sogleich richtete er Musikunterricht für Violine und Klavier ein, anfangs nur für wenige Wochenstunden, und begann damit seinen ersten· Versuch organisierten Musikunterrichtes. Sein Talent fand allgemein Anerkennung, man achtete ihn als hoffnungsvolle Begabung. 1882 fuhr Göllerich, der erklärte Wagner-Fanatiker, nach Bayreuth, um das Bühnenweihfestspiel „Parsifal" zu sehen. Zudem wurde er durch den Wagner-Biographen Glasenapp im Hause ,,Wahnfried" eingeführt12 . Schon Wochen vor8 Franz Joseph Rudigier, geb. am 6. April 1811 in Partenen (Vorarlberg). Studien in Innsbruck, Brixen und Wien; Professor für Kanonisches Recht und Kirchengeschichte in Brixen; 1841 Lehramt für Moraltheologie an der Universität Wien. 1845 Hofkaplan, 1848 Propst von lnnichen, 1850 Domherr, am 19. Dezember 1852 zum Bischof von Linz geweiht. Gestorben am 29. November 1884 in Linz. D Vom Verfasser im Nachlaß der Materialiensammlung August Göllerichs aufgefunden (Bleistift-Niederschrift auf einem einzelnen Blatt). 10 Am 28. Oktober 1877 im Wiener Ringstraßenrestaurant Gause. 11 Am 19. 10. 1884 schreibt Göllerich an seine Mutter: ,,Heute habe ich die erste Vorlesung bei Prof. Bruckner." Und am 28. 11. 1884: ,,Auch in der Harmonielehre (bei Bruckner) bin ich jetzt fleißig." Zit. aus ,,Briefe August Göllerichs an Mutter und Schwester" (Privatbesitz von Frau Franziska Göllerich, Hildesheim). 12 Göllerich wurde Richard Wagner durch Julius Hey (1832-1909) vorgestellt. Hey hatte durch Vermittlung König Ludwigs II. von Bayern die Bekanntschaft mit Richard Wagner gemacht, der ihn für eine Reform des Gesangsunterrichtes im nationaldeutschen Sinne gewinnen konnte. 1867 war er erster Gesangslehrer an der nach Wagners Ideen errichteten „Königlichen Musikschule" in München (1. Direktor: Hans von Bülow). 1883, im Todesjahr Wagners, gab er die Stellung auf. Hey verfaßte u. a. ,,Deutscher Gesangsunterricht in 4 Teilen", 1886. 39
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