OÖ. Heimatblätter 1975, 29. Jahrgang, Heft 1/2

m. Sing. des bestimmten Artikels hat „ungeheuere" Konsequenzen: er ist der Grund für die schweren grammatischen Fehler, die unsere Schüler immer wieder machen, indem sie im Deutschen den Dativ und Akkusativ verwechseln bzw. falsch verwenden33 • Ein Strukturunterschied zwischen Deutsch und Dialekt bildet hier eine Fehlerquelle. Bei der Therapie müßte dies unbedingt beachtet werden. Daß es sich tatsächlich um einen Strukturunterschied handelt, beweist die Tatsache, daß wohl nie ein Schüler schreiben oder sagen wird: Ich helfe die Mutter. Hingegen ist der Fehler: Ieh helfe den Lehrer geradezu an der Tagesordnung. c) Der Dativ Plural des bestimmten Artikels ist im Dialekt nicht identisch mit dem Akkusativ Singular männlich. Die meisten Vorkommen im Artikelparadigma weist DIE auf. Dadurch ergeben sich für den oö. Dialekt, der gerade für die dem deutschen die entsprechenden Formen eine Reihe von Realisierungsmöglichkeiten vorsieht, ziemliche Abweichungen gegenüber der deutschen Artikelbildung. Die mit DIE gekennzeichneten Stellen im dialektalen Artikelparadigma - das gilt für alle Stellen in gleicher Weise - müssen je nach Anlaut des nachfolgenden Substantivs mit einer phonotaktisch gebildeten Artikelform aufgefüllt werden. Ich konnte für den oberösterreichischen Dialekt sieben Möglichkeiten phonotaktischer Artikelbildung (Realisierungen von DIE) feststellen34 : 1. Realisierung: [d6 ] 35 graphisch : d Diese phonotaktische Artikelform wird vor vokalischem Anlaut des Substantivs verwendet: dastl därmö derdöpfö dingrid doberösterreicher döiflecken duli dübung daichingerleit 34 die Äste die Ärmel - die Erdäpfel die Ingrid die Oberösterreicher die Ölflecken die Uli die Übung die Aichingerleute deima deule daumüh damsel die Eimer die Eule die Aumühle die Amsel 2. Realisierung: [pf] graphisch: pf Diese Artikelform wird vor einem Substantiv verwendet, das mit [f] anlautet36 : pfisch die Fische pfroni die Vroni Pfeida die Feiertage pforöina die Forellen pfenster die Fenster pfrau - die Frau 3. Realisierung: [c] graphisch: tsch Diese Artikelform wird vor einem Substantiv verwendet, das mit [S] anlautet: tschiene die Schiene tschpüla die Spieler tschtoa die Steine tschlangan die Schlangen 4. Realisierung oder (/)-Realisierung: Vor bestimmten Substantiven, d. h. solchen, die mit [pf], [tsch], [ts] oder [ps] anlauten, 33 Manchmal wird den Schülern geraten, auf die Frage wem? bzw. wen? auszuweichen, um den Dativ und Akkusativ auseinanderhalten zu können. Besonders im Lateinunterricht versucht man sich so zu behelfen. Aber auch dieser Weg hilft nicht weiter, da der oö. Dialekt zwischen wem und wen nicht unterscheidet: Wen hast gsegn? Wen hast das gebn? Es gibt nur die Möglichkeit, es mit dir und dich im Dialekt zu versuchen, wenn man eruieren will, ob ·einem Verb -ein Dativ oder Akkusativ zu folgen hat. Denn nur beim Personalpronomen hält unser Dialekt Dativ und Akkusativ auseinander: Ih gib da woas. Ih moag di (de). 34 Bei der Eruierung der verschiedenen Realisierungsmöglichkeiten für DIE habe ich mich an die Liste der deutschen Laute von Klaus C. Haase (1967) Wegweiser für die Lehrerfortbildung: Die deutsche Hochsprache im Unterricht, Kiel, gehalten und jeweils überprüft, welche Artikelbildung der Dialekt vor den verschiedenen Anlauten von Substantiven vornimmt. 35 Es handelt sich um einen zwischen dem deutschen [d] und [t] liegenden Laut, der aber eher weich als hart gesprochen wird. Er ist stimmlos und mit dem nachfolgenden Substantiv fest gebunden. Ich schreibe daher keinen Apostroph zwischen Artikel und Substantiv. 36 Manche Dialektsprecher bilden den Artikel durch [t]: z.B. tfisch (die Fische).

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