sehen Ebene. Beispielsweise ordnet das Hochdeutsche in einer Pronominalsequenz den Akkusativ des Personalpronomens vor dem Dativ an: Er gibt es ihm. Er gibt sie ihm. Der oö. Dialekt aber und die romanischen Sprachen zeigen genau die umgekehrte Reihenfolge: oö. Dialekt: Sie gibt eahm's (= ihm es) Gib ma's (= mir es) Französisch: II me le donne. (= mir es, mir ihn) II me les donne. ( = mir sie) Italienisch: Glielo dice. (= ihm es) Gliela spedisce. (= ihm sie) Schließlich noch kurz zu einem weiteren Phänomen der Grammatik, wo hochdeutsche Sprache und oberösterreichischer Dialekt stark divergieren. Im Dialekt sind den Infinitiven beziehungsweise Infinitivkonstruktionen große Beschränkungen auferlegt, eine Tatsache, die man sich meines Wissens noch nirgendwo bewußt gemacht hat. Solche Beschränkungen gelten zum Beispiel für Infinitive der nachfolgenden deutschen Sätze, wenn man sie in den Dialekt transponieren wollte: Ich bitte ihn zu gehen. Es ist besser wegzugehen. Ich habe mich entschlossen zu gehen. Im ersten Satz wird statt des Infinitivs eine daßKonstruktion verwendet. Im zweiten Satz behilft man sich im Dialekt durch Rückgriff auf einen Nebensatz, der mit woan eingeleitet wird. Im dritten Satz schließlich verwendet man im Dialekt wiederum eine daß-Konstruktion. Das Verhalten unseres Dialektes zum Infinitiv müßte noch generell und ausführlich untersucht werden. Aber schon jetzt kann gesagt werden, daß der oö. Dialekt hier viele Ähnlichkeiten mit Balkansprachen wie Albanisch, Neugriechisch, Serbokroatisch, Bulgarisch und Rumänisch hat, in denen die Infinitive als solche praktisch nicht mehr existieren bzw. stärksten Einschränkungen unterworfen sind15 . Nach dieser Betrachtung einiger dialektal-schriftsprachlicher Divergenzen kann die Autonomie des oberösterreichischen Dialektes als voll funktionierendes Sprach- und Kommunikationssystem nur noch unterstrichen werden. Unser Dialekt ist ebenso autonom wie jede andere uns bekannte Nationalsprache! Es erscheint mir sehr wichtig, auf diese Tatsache hinzuweisen, weil gerade bezüglich der Dialektkonzeption die Meinung sehr weit verbreitet ist, Dialekte seien nur defekte Sprachformen, die ohne eine „mithelfende" andere Sprachform unter kommunikativen Gesichtspunkten relativ wenig taugen16 . Der Gerechtigkeit halber muß 15 Meines Er,achtens müßten unsere Deutschlehrer ·die dialektale „Infinitivgrammatik" genauestens kennen, tda der Infinitiv und sein Ve11halten im Dialekt eine große Fehlerquelle für unsere Schüler beim Erlernen und Gebrauchen des Hochdeutschen - jedenfalls der geschriebenen Sprache - bildet. Erst wenn diese ,dialektale Strukturkenntnis beim Lehrer g·egeben ist, W'ii,d er eine wirksame ,sprachliche „The11apie" entwickeln können. Für eine ziemliche Entfernung unseres Dialektes von der hochdeutschen Sprache sprechen nicht zuletzt die Aussagen vieler Volksschullehrer aus gar mancher Gegend Oberösterr-eichs, die ,da meinen, daß Schulanfänger ihre Lehrer häufig nicht verstehen würden, wenn diese nur Hochdeutsch mit ihnen sprächen. Und -das nach fast 20 Jahren Televis-ion in Osterreich! (Anm. d. Verf.) F. B. Aga,-d (1971) Language and Dialect: Some tentative postulates. In: Linguistics 65, pp. 5-24, versuchte, Dialekt und Schriftsprache streng linguistisch abzugrenzen. Nach Agard kann eine bestimmte in Frage stehende Sprachform nur dann als Dialekt gegenüber einer übengeordneten Sprache eingestuft werden, wenn gegenseitige Verstehbarkeit gewährleistet 'ist. Nach Agardschen Kritenien käme als dem oö. Dialekt eher der Status einer eigenen Sprache zu. 16 Vergleiche hierzu bes. H. Löffler (1974) p. 5: ,,Zur linguistischen Ausgrenzung von Dialekt aus der Hoch- •sprache gehört ,auch die sogenannte Defekt-Hypothese, die besagt, daß die Dialekte auf fast allen grammatischen ,Ebenen eine mangelhafte Ausstattung gegenüber der übe11geordneten Kultursprache hätten. Vor allem in der Zeit .der Suche nach der hochsprachlichen Norm war .diese Auffassung weit verbreitet. Die Unterschiede Dialekt-Hochsprache ließen sich danach ungefähr so sJQizzieren: Dialekt: Dürftige Besetzung aller grammaHschen Ebenen: es fehlen ganze Kategorien wie z. B. das Präteritum der Verben. Reduzierter Wortschatz, wenig,e syntaktische Pläne, wenig Möglichkeiten der logischen Strukturierung, z. B. keine hypotaktischen Konjunktionen. Hochsprache: Optimale Besetzung aller grammatischen Ebenen. Ma)Gimales Inventar aller gramm. Kategorien, z. B. Plusquamperfekt, Futur II, maximaler Wortschatz. Syntaktische Vielfalt. Alle Möglichkeiten der logischen Verknüpfung." 29
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