OÖ. Heimatblätter 1975, 29. Jahrgang, Heft 1/2

eine syntaktische oder genauer morphosyntaktische Thematik des oberösterreichischen Dialektes aufgreift. Syntax bzw. Syntaktik war aber immer und ist heute noch ein Stiefkind der Dialektologie3 . Also ist auch die engere Thematik meiner linguistischen Erörterung etwas außergewöhnlich. Die wissenschaftlichen Fragestellungen der herkömmlichen Dialektologie lassen sich als durchwegs „kontrastiv" charakterisieren, das heißt, man war immer bemüht, die im Dialekt vorfindbaren Abweichungen, sei es gegenüber der Hochsprache, sei es gegenüber anderen Dialekten oder Sprachformen, zu erarbeiten. Ganz deutlich kommt dieses Bemühen in der sogenannten „kontrastiven Mundartgrammatik" zum Ausdruck4 . Es verwundert nicht, daß in diesen ständig kontrastierend vorgehenden Arbeiten Abgrenzungsfragen der Dialekte - wenngleich meistens nur lautlich oder lexikologisch angegangen (vgl. Anm. 3) - eine wichtige Rolle spielten und spielen5 . Dasselbe gilt für die Definitionsfrage von Mundart und Dialekt, die für viele Wissenschaftler das Hauptproblem der Dialektologie bildet, ist sie doch auch letztlich eine Abgrenzungsfrage6 . Es sei noch einmal betont, daß die Beantwortung aller dieser kontrastiv gestellten Fragen eine wichtige Aufgabe der Linguistik bleibt, wenngleich ihre Hereinnahme in die Dialektologie, wie schon gesagt, eine Umorientierung impliziert. Worin besteht nun die von der modernen Linguistik mitgebrachte Umorientierung in der sozusagen linguistischen Dialektologie? Die größte Modifizierung bildet wohl das Abrücken vom nur-kontrastiven-Betrachten-und-Beschreiben des Dialektes. Es liegt natürlich auch weiterhin die Annahme zugrunde, daß erst eine gewisse Zahl von Abweichungen einen Dialekt als Sondersprachform konstituieren kann, aber der wichtigere Gesichtspunkt ist der, daß ein Dialekt - jedenfalls für den in Oberösterreich gesprochenen Dialekt gilt dies vollauf - ein voll funktionierendes sprachliches Kommunikationssystem abgibt. Gerade in bezug auf den oberösterreichischen Dialekt darf nicht übersehen werden, daß sehr viele Bewohner dieses Bundeslandes, wenn nicht gar die große Mehrheit, den Dialekt als die eigentliche Muttersprache erlernen und erst 26 später, besonders in der Schule, die in offiziellen Erklärungen immer als Muttersprache ausgegebene, hochdeutsche Sprache. Je nachdem, ob der Dialekt in sehr stark vom Hochdeutschen 3 Vergleiche hierzu H. Löffler, op. cit., p. 124: ,,Die Mundartfor,schung hat sich in der Vergangenheit nur am Rande um den syntaktis.chen Bereich gekümmert." Und ders., p. 132: ,,Die ... Syntax ist die am wenigsten bea11beitete Seite der Dialektgrammatik." Ähnlikh auch Jan Goossens (1969) Strukture!J.e Sprachgeographie. Eine Einführung in Methodik und Ergebnisse, Heidelberg, p. 24: ,,Die Formenlehre und der Satzbau sind ja immer ,die Stiefkinder der Dialektgeographie gewesen." Ich möchte hier allel'dings anmerken, daß mir die Gründe, die z. B. H. Löffler für die Vernachfässigung der Syntax innerhalb der Dialektologie angibt, nicht :mzutreffen scheinen. Beispielsweise liegt „der Hauptgrund, weshalb mundartliche Syntax wenig bearbeitet ist" nicht „in der unbegründeten Annahme, daß ,dialektische Syntax sich von hochsprachlicher Syntax kaum unters-cheidet" - diese Annahme wi11d durch viele Argumente aus diesem Beitrag selbst widerlegt -, sondern .im unausgereiften und äußerst s,implen Syntaxbegriff der herkömmlichen Dialektologie uind iSpnachwissenschaft übenhaupt. 4 Ver,g,le<iche zum Beispi,el Walter Schenker (1973) An• sätze zu einer kontrastiven Mundartgrammatik. In: Deutsche Sprache, Heft 2, pp. 58--80, wo diese Ziel- ,setzung deutlich ·angesprochen wird: (p. 59) ,,Eine kontrastive Mundartgrammatik ... beschränkt sich auf ,die grammatischen Züge, tn denen die Mundart abweicht von der Schr1iftsp11ache, und sie verzichtet auf die Beschreibung derj,enig-en grammatischen Züge, die Mundart und Schriftsprache gemeinsam -s'ind." Ich teile ,allerdings nicht die Auffassung von W. Schenker, ,daß mit seinen „14 Kategorien" -die Abweichungen der beiden Fassungen (= sein Korpus) voneinander in Lexikon und Syntax vollständig erfaßt sind. 5 Natürlich müßte auch das im vorliegenden Beitrag .unte11suchte Phänomen des Artikelsystems abgegrenzt werden, ,das heißt, es müßte eruiert werden, wie weit das beschriebene Artikelsystem über -den oberösterreichischen Dialektraum hinausgeht bzw. ob es nicht dem 1Mittelbairischen (vgl. weiter unten) überhaupt eigen ist. Es kann kein Zweifel dal'über bestehen, daß ,die Grenzen solcher Sprachphänomene nicht mit den politi>schen Gr-enzen des Landes Oberösterreich zusammenfallen. Die geographische Ahsteckung des Dialektraumes, wo unser Artikelsystem funktioniert, muß aber einer -anderen Arbeit vorbehalten bleiben. Ich habe für die strukturlinguistische Untersuchung des Artik,elsystems einen politisch definierten Raum genommen, in dem es dieses bestimmte Artikelsystem gibt. Damit ist aber noch keinerlei Aussage über die geogl'aphische Ausdehnung des genannten Phänomens gemacht. 6 V:gl. hierzu H. Löffler, op. cit., p. 1.

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