Zum Artikelsystem im oberösterreichischen Dialekt Ein strukturlinguistischer Beitrag zur Charakterisierung des Oberösterreichischen Von Herwig K r e n n Die nachfolgende sprachwissenschaftliche Erörterung mag aus mehreren Gründen außergewöhnlich erscheinen. Deshalb möchte ich mich zunächst mit einigen Aspekten, die meinen Beitrag außergewöhnlich machen dürften, kurz auseinandersetzen. über die Sprache des Bundeslandes Oberösterreich oder genauer über den Dialekt, der in Oberösterreich gesprochen wird, ist sicherlich schon vieles gesagt und geschrieben worden. Zweifelsohne auch über die Dichter und Schriftsteller, die sich dieser heimatverbundenen Sprachform bedient haben oder heute noch bedienen. Für diesen geographischen Raum wurden auch zahlreiche sogenannte Dialektuntersuchungen durchgeführt und viele werden zur Zeit sicherlich gerade unternommen1 . Wenn man aber unter Linguistik die moderne beziehungsweise modernste Sprachwissenschaft versteht, ist der von mir hier unternommene Versuch, den oberösterreichischen Dialekt linguistisch zu analysieren, meines Wissens die erste Applikation von Einsichten, Erkenntnissen und Methoden der Linguistik auf das Idiom Oberösterreichs. Die in Oberösterreich bei der alltäglichen Kommunikation gewöhnlich verwendete Sprachform ist noch nie einer modern linguistisch orientierten Strukturanalyse unterworfen worden. Wenn es auch im Rahmen dieses Beitrages nur möglich sein wird, diese Analyse auf ein ganz spezifisches grammatisches Phänomen anzusetzen - die gesamte Dialektgrammatik müßte natürlich auf ähnliche Weise beschrieben werden -, so stellt doch die hier vollzogene erste Kontaktnahme zwischen moderner Linguistik und oberösterreichischem Dialekt zweifelsohne ein Novum dar. Übrigens befinden sich die meisten der auf dieser Welt gesprochenen Dialekte in einer ähnlichen Situation, was ihr jeweiliges Verhältnis zur modernen Linguistik betrifft. Einer der Gründe für diese Vernachlässigung der Dialekte von seiten der Linguistik liegt sicherlich in der Tatsache, daß die moderne Linguistik eine noch sehr junge wissenschaftliche Disziplin ist. Es läßt sich aber nicht leugnen, daß die Ablehnung der Dialekte beziehungsweise die Bevorzugung verschrifteter Nationalsprachen durch die Linguistik auch mit inneren Wesenseigenschaften von Dialekten zusammenhängt. Auf diese Frage soll aber hier nicht weiter eingegangen werden. Erst in den letzten Jahren, während sich an den Universitäten eine linguistische Hochblüte beobachten ließ, hat sich das Interesse der Linguistik über den Umweg soziolinguistischer Fragestellungen den Dialekten bzw. dem Dialekt zugewandt2 . Die Erforschung eines Dialektes mit Methoden und Mitteln der modernen Linguistik ist eine heute noch nicht allzu häufig vorfindbare wissenschaftliche Aktivität, die aus dem üblichen Rahmen sprachwissenschaftlicher Arbeiten zum Dialekt herausfällt. Der Einsatz moderner Linguistik in der Dialektforschung bedingt verständlicherweise eine Umorientierung in der wissenschaftlichen Fragestellung, eine Tatsache, die bereits in der Betitelung meines Beitrages zum Ausdruck kommt. Das bedeutet aber wiederum nicht - und es ist mir wichtig, diese Aussage zu unterstreichen -, daß damit in Fragestellung und Durchführung herkömmliche Dialektarbeiten ab jetzt überflüssig wären. Im Gegenteil, die modern linguistisch orientierte Dialektforschung ist in besonderem Maße auf diese Arbeiten und ihre Ergebnisse angewiesen. Auf die neuartigen Fragestellungen, die die Anwendung moderner Linguistik auf Dialekte mit sich bringt, werde ich gleich zurückkommen. Zunächst sei darauf hingewiesen, daß mein Beitrag 1 Man denke nur an die vielen wJssenschaftlichen Arbeiten der W1ener Schule, die meist unter der Leitung von E. Kranzmayer -(Uruiversitä,t Wien) ,auch über den Dialektraum Oberösterreich verfaßt wurden. ~ Vergleiche hiel'ZJU auch !Heinrich Löffler (1974), Proibleine der Diatlektolo,giie. Eine .Einführung. Darmstadt, p. XI: ,,In 'j-üng,ster Zeit kommt innerhalb .der .Soziolinguistik die Mundartforschung immer häufiger ins Gespräch. Im Z1.tsammenhang mit ,der ,DJ,skussion über d-ie Sp:rachbarl'ieren, d. h. den ,sprachlich booingten und daher mit Mitteln der Linguistik beschreibbaren !-Linder- und Hemmnis,sen innerhalb ,de.s Schul- und Bildungsbetriebes, w-ird Mundart als eine tSonderform von regionaler und so2lialer ,Sprachbarrier,e ,genannt. Damit ist auch eine Wissenschaft aufgemfen, ,die bislang eher im Schatten der großen Disziplinen ,stand und beinahe als etwas für Kenner und Liebhaber oder heimattümelnde •Brauchtumspfleger verstanden wurde. In Deutschland ist die Mundartforschung, die neuex,dings auch wieder Dialektolog,ie genannt wi:rd, ,so alt wie -rue Erforschungder deutschen 'Sprache überhaupt." 25
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