spräche — so könnte ich vielleidit heute nodi aufheulen, wie in meiner Jugend, aber ich könnte ihn nicht Lügen strafen... Mir blieb die Sehn sucht, die sich mit Verstehen und Nicht-Spre chen-Können süddeutscher Mundarten begnü gen mußte. Die oberbayrische Mundart und einige alemannische Mundarten haben mich beim ersten Anhören bis zu Tränen ergriffen. Sprach künstlerisch, aus dem Unbewußten heraus, ist meine Sprache niemals lebendig genug gewesen, und darum nicht dichterisch genügt". Wonach dieser Autor vergeblich verlangt hat, das ist Stelzhamer wie von selber zugefallen, „aus dem Unbewußten heraus". Wenn man Stelzhamers hochsprachliche Dichtung und seine Mundartpoesie nebeneinander stellt oder nach einander hört, erkennt man den großen Grad unterschied genau so wie bei dem Steirer Hans Kloepfer, dessen Gedichte in steirischer Mundart seine übrigen Dichtungen beträchtlich überragen. Wir wissen, daß auch manche heutige Schrift steller Neigungen zum Dialekt bekunden, wie etwa Artmann oder Gerhard Rühm und etliche aus der Wiener Gruppe. Doch das hat andere Ursachen. Die Mundart wird zum Experimen tierfeld, auf dem man sich bewußt vom Her kommen distanziert oder, wie Gerhard Rühm es ausdrückt: „Der Dialekt" wird „als ein be stimmter, manipulierbarer Ausdrucksbereich in den Materialbestand der neuen Literatur aufge nommen . Manipulierbar — das heißt mechanisch, nicht organisch, mittelbar und nicht unmittelbar. Nicht mehr unmittelbar ist auch das Naturempfinden vieler in der jüngsten Schriftstellergeneration. Ein charakteristisches Beispiel dafür liefert Peter Handke. In einem seiner jüngsten Bücher, „Der kurze Brief zum langen Abschied" (1972) sagt der Ich-Erzähler an einer Stelle von einem Kinde, einem Mädchen in Amerika: „Es war eigenartig, daß Benedictine (so heißt das Mädchen) die Natur fast nicht mehr wahrnahm, sondern die künstlichen Zeichen und Gegenstände der Zivili sation schon als Natur erlebte. Sie fragte viel eher nach Fernsehantennen, Zebrastreifen und Polizeisirenen als nach Wäldern und Gräsern und schien in der Umgebung von Signalen, Leucht schriften und Ampeln lebhafter und zugleich doch ruhiger zu werden. So nahm sie es als naturgegeben, daß es Buchstaben und Zahlen gab, und betrachtete sie als selbstverständliche Dinge, ohne sie erst als Zeichen entziffern zu müssen. Dabei merkte ich, daß auch mir lang weilig wurde, wenn ich eine Zeitlang in der Landschaft nur Natur vor mir hatte und nichts darin zu lesen entdeckte. Wenn das Kind etwas der eigentlichen Natur Nachgemachtes sah, etwa ein Gemälde des Malers, war es ihm unwichtig, ob und wo es das Vorbild dafür gab, denn das Nachbild hatte es für immer ersetzt®." Die Generation eines Hermann Hesse hatte noch ein ganz anderes Verhältnis zur Natur: So mußt du allen Dingen Bruder und Schwester sein. Daß sie dich ganz durchdringen. Daß du nicht scheidest Mein und Dein. Kein Stern, kein Laub soll fallen — Du mußt mit ihm vergehnl So wirst du auch mit allen Allstündlich auferstehn^. Allen Dingen Bruder und Schwester sein — das ist das Grundgefühl, von dem die Dichtungen Stelzhamers getragen sind: Deine Bam, deine Staudna Sand groß worn mit mir; Und sö hlüahn sehen und trogn Und sogn: moch's as wia mir. Und Stelzhamer weiß, wohin es führt, wenn man sich von diesem Ursprung entfernt: „Die Ent fernung von der Natur ist zugleich die Ent fernung von Gott", heißt es in einem seiner Aphorismen. Das sagt er im beglückten An schauen der oberösterreichischen Landschaft, die vor ihm liegt in der fruchtschweren Fülle ihrer Äcker, im Auf und Ab ihrer Wälder, in der Vielfalt ihrer bergumkränzten Seen. Immer ist der Mensch in diese Landschaft einbezogen: wie er lebt und werkt in Haus, Hof, Familie und Gemeinde, durch die der Pulsschlag der Ge schlechter geht im ewigen Rhythmus des Wer- * Fritz Mauthner: Erinnerungen, München 1918, 5.51 u. 52. ' Peter Handke: Der kurze Brief zum langen Abschied, Frankfurt/Main 1972, S. 117 f. ' Hermann Hesse: Spruch. In: Gesammelte Schriften, 5. Bd., Frankfurt/Main 1958, S. 534.
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