OÖ. Heimatblätter 1974, 28. Jahrgang, Heft 1/2

Franz Stelzhamer in unserer Zeit Von Adalbert Schmidt Gedenkrede, gehalten anläßlich der 100. Wiederkehr des Todestages von Franz Stelzhamer am 14. Juli 1974 im Großen Saal des Brucknerhauses in Linz. Immer, wenn man eines bedeutenden Menschen gedenkt, der vor tms gelebt und gewirkt hat, erhebt sich die Frage: Was ist es, das diesen einzelnen über ein bloß pietätvolles Erinnern hinaushebt und ihn mit unserem Hier und Heute verbindet? Lebt etwas von ihm noch in unserer Zeit oder vielleicht auch gegen unsere Zeit? Und wie verhält es sich, wenn dieser Mensch ein Dichter war wie Franz Stelzhamer?* Was ist uns ein Dichter, was ist uns die Dichtung heute? Vor mehr als einem halben Jahrhundert hatte Hugo von Hofmannsthal geschrieben: „Wir sind von Taten umgeben und jeder in seinem Kreise zu Taten genötigt. Was soll uns die Poesie? Nun, ein Gemeinsames zwischen den Taten und der Poesie steht mir vor der Seele. Sie beide sind lügenlos, sie beide reden die Wahrheit. Die Taten werden richtbar, wenn es Abend wird, und die Poesie enthält die Wahr heit der Dinge und das Gericht über die Dinge^." Poesie, sagt Hofmannsthal; ihr Träger wäre der Poet, der Dichter. Heute spricht man nur selten noch vom Dichter, man sagt Schriftsteller, man sagt Literat, eine Bezeichnung, die noch vor kurzem einen abschätzigen Beigeschmack hatte. Und Wahrheit — welche Wahrheit? Auch hier werden die Antworten nicht einheitlich lauten. Wir würden im Falle Franz Stelzhamer sagen: seine dichterische Wahrheit ist die Wahrheit des Organischen. Unsere Gegenwart zeigt eine ent gegengesetzte Tendenz: Sie strebt vom Organi schen weg, zum Abstrakten hin, sie führt letztlich zu einer Atomisierung des Daseins, zu einem Zerfall des Kreatürlichen und Menschlichen. Stelzhamers Dichtung spiegelt den organischen Verband von Natur, Mensch und Gemeinschaft. Zum Sinnbild seiner Poesie wird der Baum als Verkörperung wachstümlichen Lebens. Baum ist das Grundwort, das dem Büblein an der Tafel des Dorflehrers am ersten Schultag begegnet („Der erste Schulgang"), das Baumgleichnis geht ein in die Familie des Dichters, denn Stelzhamer sieht in den drei alten Stämmen des heimischen Birnbaumes sich und seine beiden Brüder vorge stellt, wie er es in dem Gedicht „Ünsa Ähnlbirbam" verkündet. Ja das ganze Dasein wird zum Baum, zum blühenden Kirschbaum, wie eines seiner schönsten Gedichte überschrieben ist („Da blüahade Kerschbam"). Doch schon hier wird deutlich, daß Stelzhamer kein selbstgefäl liger Sänger eines rosigen Optimismus ist: So wie der strahlend schöne Baum auch vom Unge ziefer weiß, von Raupen an der Blüte, von Würmern an der Frucht, so weiß der Dichter von Gut und Böse, von Licht und Schatten im Wech sel des Daseins. Wir alle kennen die Freuden, aber auch die Bitternisse, die Zweifel und Ver zweiflungen in Stelzhamers Leben. Von der Kinderzeit in Piesenham über die Werde jahre in Salzburg, Graz, Linz und Wien, über die Wanderfahrten nach Passau, Würzburg, Mün chen, Stuttgart, Augsburg bis zur letzten Einkehr im salzburgischen Henndorf spannt sich ein wei ter Bogen von Beglückungen und Enttäuschun gen, von unruhiger Suche nach Beruf und Be rufung in Jahrzehnten materieller und seelischer Nöte. Stelzhamer war weder menschlich noch dichterisch ein ländlicher Einsiedler, der über die Grenzpfähle seiner Heimat nicht hinaussah. Als Erzieher und Schauspieler, als Theologe und selbst als Maler suchte er zeitweise Fuß zu fas sen, das Hin und Her seiner Neigungen imd Begabungen quälte ihn selbst, und er sprach von der „unglückseligen Verzweigung" seines Ta lents. Er nahm teil am literarischen Leben, er war während seiner Wiener Zeit Stammgast im berühmten „Silbernen Kaffeehaus" in der Plan kengasse, wo die künstlerischen Persönlichkeiten sich trafen, er verkehrte im Hause Adalbert Stifters, an dessen Sammelwerk „Wien und die Wiener" er mitarbeitete (die Beiträge „Abend vor der Linie" und „Die Wiener Stadtphysiogno mie und der Wiener Volkscharakter" stammen von ihm), er war in Malerkreisen bekannt und war Künstlern wie Kriehuber, Axmann, Danhauser und Blumauer freundschaftlich verbun- * Eine Gesamtausgabe der Werke Stelzhamers fehlt noch immer. Die zitierten Stellen aus den Mundartdichtun gen richten sich in der Schreibweise nach den von Leo Kober besorgten Ausgewählten Dichtungen (Wien 1948). ' Hugo von Hofmannsthal: Österreich im Spiegel seiner Dichtung. Zit. nach der Ausgabe der Ausgewählten Werke (Dünndruckausgabe des Winkler-Verlages, München o. J., II, S. 600).

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