OÖ. Heimatblätter 1974, 28. Jahrgang, Heft 1/2

befehlshaber zum Prügelknaben gemacht: „Der Volkswehrkommandant von Linz, Oberst Pösdhmann, hat sich seiner Aufgabe völlig ungewach sen erwiesen, weshalb die tatsächliche Befehls gewalt auf die Arbeiter- und Soldatenräte über ging®." In Steyr kommt es zu einem sicht baren Machtverlust des Soldatenrates, der nach Wien berichten muß, daß die Mannschaft dem Soldatenrat „zum wiederholten Maße verspro chen hat, daß sich die Vorfälle in Steyr vom 9. und 10. des Monats in keiner Weise wiederholen werden"^®. Gewiß waren inzwischen aus der Volkswehr die übelsten Elemente entfernt wor den, aber gerade diese lösen vielfach die Demon strationen und Plünderxmgen aus — und das oft noch in Uniform oder in einer uniformähnlichen Bekleidung. Die blutigen Demonstrationen vom Mai 1920 lösen schließlich im Linzer Arbeiterrat die schwerste Krise aus und führen zum vorüber gehenden Rücktritt des Führers der Arbeiterräte, Strasser. Auch wenn diese interne Auseinander setzung über die Rolle der Kommunisten im Ar beiterrat und bei den Ausschreitungen bereinigt werden kann, ist die entscheidende Rolle der Ar beiterräte dahin. Bedeutungsvoll für diese Entwicklung ist natür lich auch das Übermaß an Waffen, die sich seit Kriegsende in Händen nunmehriger Zivilisten befinden und einen bedeutenden Unsicherheitsfaktor darstellen. Zwar sind Landesregierung, Gendarmerie, aber auch der Soldatenrat ener gisch für eine Waffenabgabe, deren völlige Ein haltung aber niemand überprüfen kann. Die Vorfälle vom Jänner 1919 werden übrigens auch durch zahlreiche Hinweise im Inseratenteil der Zeitungen bemerkenswert illustriert. So er scheint ein Inserat des Linzer Kaufmannes Fried rich Tscherne'®, wonach in seinem Geschäft le diglich die ihm rechtmäßig zugeteilte Zucker menge von 10.800 kg vorhanden gewesen sei, was — im selben Inserat — auch vom städtischen Marktamt, dem Bürgermeister, dem Garnisons soldatenrat und dem Arbeiterrat bestätigt wird. Die Linzer Obstverwertung L. und S. Kafka stellt, ebenfalls im Inseratenteil", fest, daß we gen der vom Arbeiter- und Soldatenrat beschlag nahmten Zuckermenge die Marmeladeproduktion gefährdet sei, was wieder vom Landeswirt schaftsamt bestätigt wird. Raffiniert als „Dank an die Volkswehr und Richtigstellung" gekenn zeichnet, erscheint ein Inserat des gewesenen Rittmeisters Weyse, der beschuldigt worden war, von seiner Wohnung aus in die Menge ge schossen und einen Invaliden erschossen zu ha ben. Er erklärte, daß in seiner Wohnung nur das Dienstmädchen und ein Säugling gewesen seien. Nach der Beschuldigtmg habe er sich „zum Schutz seines Lebens in die Schloßkaserne bege ben und um Schutzhaft gebeten"'®. Unterschied lich sind aber auch die Reaktionen auf die Plün derungswelle. So bietet die Linzer Kleiderfirma Nekta (Eichner und Ungar) jenem tausend Kro nen, der den abhandenen Perserteppich zurück bringt®. Das Kaufhaus Hirschfeld auf der Land straße verspricht „hohe Belohnung denjenigen, die uns behilflich sind, die geraubten Waren zu standezubringen®". Kaufmann Jentschke wieder ersucht lediglich um Rückgabe der wichtigsten Geschäftspapiere und erklärt weiter: „Und ga rantiere ich persönlich, daß ich weder um Namen oder Stand des Überbringers frage®." Die Verhängung des Standrechts von 1919 und 1920 zeigt übrigens die Machtverhältnisse und den Wandel der Machtverhältnisse unmißver ständlich auf. 1919 erfolgt die Verhängung des Standrechts im Einvernehmen mit dem Landes gerichtspräsidenten und dem Ersten Staatsan walt, unterzeichnet wird es — in dieser Reihen folge — durch die Provisorische Landesregierung, den Arbeiter- und Soldatenrat und den Landes befehlshaber®. Ganz anders ist dies beim Stand recht von 1920. Es wird gewiß wieder im Ein vernehmen mit dem Landesgerichtspräsidenten und dem Ersten Staatsanwalt gemäß § 429 der Strafprozeßordnung verhängt — jedoch nur durch die oberösterreichische Landesregierung. In den zur Ruhe mahnenden Aufrufen, die gleichzeitig im „Tagblatt" erscheinen, steht an erster Stelle die Landesregierung, darm der Linzer Bürger meister, die sozialistische Landesparteivertretung und an letzter Stelle der Arbeiterrat'®. ' LTgbl. 1919, Nr. 31. OÖLA, Geh. Präs. Akte, Sdi. llh, 202 /1021, Präs. 1918. " LTgbl. 1919, Nr. 37. LTgbl. 1919, Nr. 33. " LTgbl. 1920, Nr. 109.

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