OÖ. Heimatblätter 1974, 28. Jahrgang, Heft 1/2

Vor 55 Jahren: Zweimal Standrecht in Oberösterreich Von Harry Slapnicka Das Aufatmen nach Ende des Ersten Weltkrie ges dauert nicht lange; nur zu bald erkennt man, daß die kriegs- und nachkriegsbedingten Schwie rigkeiten noch lange anhalten würden, xmd die wirtschaftliche Abschnürung des kleingeworde nen Österreich erbrachte zusätzliche Schwierig keiten. So sind der Unmut und die Unruhe in Oberösterreich in den Jahren 1919 und 1920 eher noch stärker als im Herbst 1918, als Ausschrei tungen und Schießereien gewiß auch auf der Ta gesordnung standen. Im Feber 1919 kommt es in Linz zu Plündenmgen, die fast alle Geschäfte der Innenstadt, aber auch den Bischofshof^, das Jesuitenkloster am Freinberg und verschiedene Pfarrhöfe^ in Mit leidenschaft ziehen. Am ersten Tag dieser Plün derungen, am 5. Februar 1919, wird das Stand recht für das Gebiet Linz-Stadt, Linz-Land und Urfahr verhängt®. Zu wesentlich blutigeren Aus schreitungen kommt es in Linz im Mai 1920, wobei es insgesamt 9 Todesopfer und mehrere Verwundete gibt. Das Standrecht wird am 10. Mai 1920 verhängt und am 15. Mai 1920 aufgehoben^. Diesmal muß für die Dauer des Standrechtes, das für das gleiche Gebiet wie 1919 ausgesprochen wird, der Scharfrichter aus Wien nach Linz beordert werden, ohne daß er in Ak tion treten muß. Es gibt mehrere hundert Ver haftete, und als die Opfer der Ausschreitungen am 13. Mai 1920 begraben werden, wird der Zeitpunkt des Begräbnisses in Linz nicht be kanntgegeben und der Friedhof bleibt während der Dauer des Begräbnisses gesperrt. Gründe, die zu dieser Entwicklung führen, gibt es natürlich bündelweise. Vorerst sind es für den städtischen Bereich tatsächlich der Hunger und der Mangel an fast allen Bedarfsgütern. Ähnlich wie in den meisten anderen Ländern war auch in Oberösterreich die landwirtschaftliche Produk tion im Verlauf des Krieges um rund die Hälfte abgesunken; beim Hafer macht der Ertrag nur noch 41,03 Prozent aus (Vergleichswerte jeweils 1913 und 1921!), beim Roggen 48,26 Prozent, bei Gerste 61,40 Prozent bei einer allerdings starken Ausweitung der Anbaufläche auf 194,31 Prozent des ursprünglichen Ausmaßes, bei Wei zen immerhin noch 62,55 Prozent. Die stark ge sunkene Arbeitsmoral, willkürliche und nicht immer vernünftige Eingriffe der Volkswehr und der Rätegruppen vor allem beim Viehbestand, dazu eine nach Kriegsende kaum besser gewor dene Liefermoral der Bauern erschweren die Versorgungslage oder bessern sie nur langsam. Es ist eine Zeit, in der alle nur verteilen, werüge aber produzieren wollen. Tauschgeschäfte der Länder untereinander, der Versuch einzelner Brmdesländer, Handelsabkommen mit anderen Staaten, etwa der Tschechoslowakei oder Italien, abzuschließen, werden in bester Absicht unter nommen, verstärken aber noch das Chaos. Insgesamt dauert diese Entwicklung zweieinhalb Jahre. Mit Beginn des Jahres 1921 bricht dann die Lebensmittelbewirtschaftung rasch in sich zu sammen. Im April 1921 können anstelle der bisherigen Milchablieferung freiwillige Lieferver träge treten. Die Lieferpflicht für Hühnerhalter wird auf 25 Eier je Huhn und Jahr festgelegt. Erstmals wird im Mai 1921 wieder in Linz Weiß gebäck gebacken und normales Bier gebraut. Gleichzeitig wird der Verkehr von Obst tmd Ge müse freigegeben. Ab Juni 1921 dürfen z. B. Pferde aus Oberösterreich in andere Bundeslän der verkauft werden, im Oktober folgt die völ lige Freigabe des Kartoffelverbrauches, nachdem auch die Verkehrsbeschränkung für Vieh frei gegeben worden war®. Die Lebensmittelknappheit und der Hunger der Jahre 1918,1919 und 1920 sind aber nur die eine Seite. Nicht weniger gewichtig ist die revolutio näre xmd teilweise auch anarchistische Stimmung, die auch in Oberösterreich Fuß gefaßt hatte. ^ Das Beschwerdeschreiben von Bischof Gföllner an den Volkswehrkommandanten mit Vorwürfen gegen die an der Plünderung teilnehmenden Volkswehrsoldaten ist nur in einer Abschrift erhalten. OÖLA, Geh. Präs. Akte, Sch. 398, 772/926 Präs. 1919 — 6B. ® So erzählte man über das Eindringen von Plünderern in der Linzer Herz-Jesu-Pfarre; als der Pfarrer als „fettes Schwein" bezeichnet wurde, brachte er die Ein dringenden durch derb-humorvolle Worte, „Ich freß auch schon ein paar Jahre länger als ihr" zum Rüde zug. ® Kundmachungen in den Linzer Tageszeitungen vom 5. 2. 1919. ^ Kundmachungen in den Linzer Tageszeitungen vom 12. 2. 1920 und vom 16. 5. 1920. ° Harry Slapnicka, Von Hauser bis Eigruber, Linz 1974, 142 ff.

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