kann, zeigt den Anfang eines künstlerischen Niederganges, der sich mit dem Hinweis auf eine Brotarbeit allein nicht entschuldigen läßt. Bald folgte, wenigstens was den hochdeutschen Stelzhamer betrifft, ein völliger Stillstand. Hier kün digt sich schon an, wie er die folgenden zwei endlich sorgenfreien Dezennien verbringen sollte. Für Bierschwärmerei, für die Poesie schat tiger Gasthausgärten oder Dorfschenken an den so oft von ihm befahrenen Landstraßen hatte er immer Verständnis gehabt. Seine Freundschafts pflege läßt sich ohne den allabendlichen Gast hausbesuch gar nicht denken. Demgemäß war sie auch unverbindlich und künstlerisch unfrucht bar. Stelzhamer am Biertisch, im Kreise von Zechgenossen oder zufällig Zusammengekomme ner der Geist- und Einfallsreichste, wofür er dann meistens beim Wirt die Zeche für beglichen hielt — das ist die Gestalt, in der er heute noch im Volksmunde weiterlebt. In München nun kam er diesen Dingen bis auf den Grund. Das Buch „Gambrinus" zeigt ihn ebenso bekannt mit den Münchner gewichtigen Brauherren geschlechtern, ihrer Geschichte und ihren Ge schichten, wie auch mit den berühmten Münch ner Tempeln des Bierkults, mit der Sphäre sei ner Priester und Gläubigen, mit den verschiede nen Stadien gambrinisch-göttlicher Verzückung, d. i. des Rausches. Noch freilich glaubt er an seine Sendung als hochdeutscher Dichter, und auf den „Liehesgürtel" gründet sich seine ganze Hoffnung. Stifter hatte mit Heinrich Reitzenheck, dem Linzer Apo theker und späteren Professor an der Realschule in Salzburg, Ende 1848 den Gedichtzyklus auf merksam durchgegangen, zu ändernde Stellen bezeichnet, über das Ganze sich aber, aus der Freundesperspektive offenbar, sehr lobend ge äußert und versprochen, eine Einleitung dazu abzufassen. Aber bedeutet es nicht völlige Ver kennung der Realität, wenn er von einem Werk halb Heinescher, halb Rückertscher Art, das in den ersten dreißiger Jahren entstand, jetzt nach 20 Jahren und nach solchen Umwälzungen noch den Durchbruch als deutscher Dichter erwartet? Nichts Geringeres erwartete aber Stelzhamer, als er mit Empfehlungen des bayerischen Pre mierministers V. d. Pfordten im Mai 1854 zu Cotta nach Stuttgart reiste, um die unterbroche nen Verhandlungen wieder aufzunehmen. Auf die hohe Empfehlung hin ist die Aufnahme bei den Kompagnons der Firma Cotta, dem Baron Johann Georg v. Cotta und seinem Schwager Hermann v. Reischach sowie bei den Stuttgarter Literaten sehr freundlich. Er besucht unter an derem den Kritiker und Geschichtsschreiber Wolfgang Menzel und Friedrich Wilhelm v. Hackländer, den Romanschriftsteller und Lust spieldichter. Bald wird er auch zum Prinzen Wilhelm von Württemberg geladen, der ihn in seine „Werft" einführt und ihn zum Mitglied macht. Aber mit der Buchveröffentlichung gibt es bald neue Schwierigkeiten. Schon am 3. Juni 1854 berichtet er an Betty: „Mein Geschäft mit Cotta ist immer noch sehr in der Schwebe... Baron Cotta schrieb mir ein Briefchen, daß mein Buch, das er, wie Du weißt, vor 3 Jahren so außer ordentlich gefunden hat, an allerlei Gebrechen an Reim und Vers litte. Noch mehr, daß es (dasselbe Buch, das er vor 3 Jahren in der Idee und in der Form so unge messen schön genannt hat), daß es hie und da ans Sinnliche, ja Geile (Himmel Sakrament) grenze, daß dasselbe noch einer umfassenden Feilung unterzogen werden müßte, ja daß es vielleicht besser sei, es gar nicht zu drucken. .. Du weißt, wie hoch ich im Leben und mit der Feder die Sittlichkeit achte, und ein so verfluchter schwäbischer Mucker will aus meinem Buch grobe Sinn lichkeit herauswittern. Ist das nicht zum Schlagtreffen? Stifter, Reitzenheck, die Apostel der hohen Sittlichkeit, haben mein Buch mit Staunen und Lust gelesen, in Mün chen Lohr und Muttenthaler mit Lob und Verwunderung, und ein schwäbischer Pietist...!" Sehr erbost darüber machte sich Stelzhamer nun aber doch an die Umarbeitung, teilweise zusam men mit Graf Wilhelm von Württemberg, der ihm hiezu auch einen Arbeitsplatz auf seiner Burg Lichtenstein zur Verfügung stellen wollte. Nach anfänglichem Unwillen, zu einer Über arbeitung niedergezwungen zu werden, findet er schließlich bisher nicht gekannte Schaffensbefrie digung in dieser Arbeit. „Lenau, der Unglückliche, hat mir einst gesagt ,Ich habe gearbeitet mit Kraft, ich habe gerungen... usw. Ich habe den guten Mann damals nicht verstanden, jetzt weiß ich, was es heißt, ich habe gearbeitet, ich habe gerungen..., ich wußte gar nicht, daß ich die Kraft der Formbewälti gung in diesem Grade besitze, das wäre mir in Bayern oder gar im üppigen Vaterlande auch gar nie zum Be wußtsein gekommen, daß konnte nur im nüchternen, verständigen Schwabenlande und unter den roten, Ker kermauern ähnlichen Weinbergen von Stuttgart ge schehen ..(Brief an Betty vom 19. Juni 1854.)
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