OÖ. Heimatblätter 1974, 28. Jahrgang, Heft 1/2

bekommen, die ihn besser als den höchsten Be amten in Ried stelle (ein Gerücht, das Stelzhamer ausdrücklich geduldet, sogar als ein schmeichelhaftes gerne gesehen hatte), man frage sie immer, was daran Wahres sei, und sie müsse immer antworten, sie wisse nichts, ihr Mann habe ihr darüber nichts geschrieben. Sie geht sogar so weit, sich allerdings schuldig an dem Vorfall zu bekennen, indem sie weiteren (nur zu wahren) Gerüchten nicht entgegentritt: er liebe sie nicht mehr, weil er in Wien im teuersten Gasthof wohne und „sie hier darbe". „Heute ist wieder Jahreszeit, daß wir uns haben und kennen, in unseren letzten Briefen möchte es fast schei nen, als wenn wir um keinen Schritt weiter gekommen wären." Stelzhamer findet zwar auch an diesen Erklärun gen noch manchen Widerspruch, der ihn reizt, und fast entzündet sich der Streit aufs neue über Bettys Äußerung: „Wenn das Kind nicht wäre, ich wüßte schon, wohin ich ginge". Aber er beruhigt sich schließlich jetzt doch. Und wo durch? Ich darf mir wohl erlauben, einen kleinen Anachronismus zu begehen und eine Stelle aus einem Brief, der einen um wenige Monate vor her entbrannten, wenn auch nicht so heftigen Streit abschließt, zur Vervollständigung des ty pischen Ablaufbildes und der Prägnanz halber hieher zu setzen: „Meine Fragen hast Du alle mehr als genügend beant wortet, aber mein Weib, ich wußte es bereits 3 Tage früher, denn kaum war meine krankhafte, höchst gefähr liche Verstimmung gewichen, so sagte mir mein eigenes Herz selbst alles, alles, auch daß es ungerecht war und immer ungerecht sein und bleiben wird, solche Fragen an Dich zu stellen, aber ich habe es tun müssen, es war mit eine von den Entäußerungen meiner inne habenden Krankheit, und so habe ich doch nebst den reinen, paradiesischen Lauten der Liebe auch einmal Dein sanftes Klagen gehört, o mein Weib, du solltest öfter klagen, aber nie anders als so himmlisch sanft. Das dringt dem Schuldigen in die innerste Seele und nötigt zur Gewis senserforschung und Beichte zugleich." (Brief an Betty, vom 9. November 1850.) Den Grund für den Ausbruch dieses jüngsten Streites findet er aber, freilich auch hier wieder mit kleinlichen Beispielen belegt, in ihrer „Unaufrichtigkeit und Verschlossenheit. Du fürditest meinen grübelnden Verstand, ich Deine ungezähmte, ver nunftlose Leidenschaftlichkeit und Zorneswut. Mein Ver stand wäre aber gar nicht zu fürchten, wenn er nichts mehr zu grübeln hätte, so würde er sich selbst zur Ruhe begeben, wie willst Du hingegen Deine Fehler entschul digen?" Damit sind wir bei der Quelle. Was sich von ihm aus als Unaufrichtigkeit und Verschlossenheit ansah, war in Wirklichkeit abermals eigener Mangel an Altruismus, war subjektivistische Herrschsucht und das Gefühl der Ohnmacht, die Seele neben ihm durchaus bis in den letzten Winkel beherrschen zu können. Der Druck des Mundartepos in Hexametern //D' Ahnl" hält ihn weiter in Wien fest. Mit der „Ahnl" will er zurückkehren, um sich vor seinen Pränumeranten rechtfertigen zu können. Die ministerielle Hoffnung hat er bereits aufgegeben. „Daß ich mich vom Ministerium feierlichst auf immer trenne, das steht fest, was aber alles dar aus hervorgeht, habe ich noch nicht recht zu sammengereimt." (Brief an Betty vom 4. März 1851.) Bei einer Vorlesung im März 1851 macht er den ersten Versuch einer „freien Erzählung", d. h. einer novellistischen Improvisation. „Ich habe endlich, was ich jahrelang wußte und rüe ledigen konnte, ich habe am Samstag nebst meiner Vor lesung auch das Wage- und Probestück einer ,freien Er zählung' gemacht, u. zw. zu meiner vollkommensten Zu friedenheit. Daß das Publikum ebenfalls zufrieden war, versteht sich von selbst. Ich bin richtig der Erzählung mächtig — das lebendige Wort ist endlich in mir lebendig geworden und dieses lebendige Wort, die Blüte, das ist das Vollkommenste alles in der darstellenden Kunst Leistbaren, ein gänzlich neuer Kunstzweig —, was sage ich, nicht Zweig, der Blütenstengel der Kunst selbst wird durch mich erweckt und emporgetrieben. . . . nun heißt es aber schnell und hinlänglich sich Repertoir, die schön sten Sagen und Geschichten sich aneignen." Er denkt an ein improvisierendes Wiedergeben des „Nibelungenliedes" oder von Auerbachs Dorfgeschichten oder den Märchen von Musäus. — Diese neue Kunstidee steht nicht sehr weit ab von der seinerzeitigen mit der Schauspielerei der Passauer Zeit. Es scheint ihm dabei weniger um das „Lebendigwerden des Wortes" zu gehen, sondern um das Einsetzen der eigenen Persön lichkeit, die sich nun gegenüber bloßem Vorlesen ganz frei bewegen kann. Davon und von dem Ausdruck seiner Körperlichkeit erwartet er sich Wirkung auf das Publikum. Das scheint zu be weisen, daß gleich der nächste Versuch deswegen mißlingt, weil sein Persönlichkeitsbewußtsein durch körperliches Unbehagen xmd durch das ihm

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