daß Stelzhamer ihren möglicherweise bedeu tungsvollen Inhalt erfahren kann. Auch im Mini sterium kann man ihm nicht Auskunft geben, und der Minister Thun selbst ist abwesend. Schließlich stellt sich heraus, daß es einer jener Akte bezüglich einer Abänderung oder Umredaktion seines Lesebuches ist. Er wohnt noch immer bei Matschaker und war tet sehnlich auf die Stunde, „bis er seine Fesseln sprengen kann". Seiner Frau schreibt er mit übersendeten fünf Gulden: „Das Übrige borge, wenn die Leute nur sehen, daß man in etwas seiner Schuldigkeit nachkommen trachtet, so sind sie in der Regel doch keine Barbaren." Litera rische Geschäfte waren fast gar keine zu machen. Das mit Cotta hatte er gerade durch sein Drän gen wieder erschwert und hinausgeschoben, und die Verpflichtungen im Matschakerhof wuchsen noch immer. In dieser mißlichen Stimmung und bei der schon so langen Dauer der Trennung war es schon mehrmals zu Eifersuchts- und Arg wohnanwandlungen gegenüber Betty gekommen. Einen neuerlichen, diesmal brieflichen Zwist von Anfang des Jahres 1851 können und wollen wir zur Feststellung der Problemlage und der Cha raktereigentümlichkeiten Stelzhamers belau schen. Betty hatte ihm berichtet, daß sie im neuen Jahr ihre beiderseitigen Briefe durchgelesen habe. „Mit welclier Freude habe ich gelesen, wie Du mich im mer und stets geliebt hast, doch auch mein lieber, teurer Mann, welchen Kummer wir uns schon gemacht haben, 4t Darauf Stelzhamer: „Diesen vorübergehenden Schmerz aber nimm als Buße für das viele Leid, das Du mir wissend imd unwissend schon früher bereitet hast..., ich selbst war werdgstens zur guten Hälfte die veranlassende Ursache.. . Du mögest mir versprechen, daß Du mich niemals mehr so herzzerreißend erschrecken und meine ohnehin stets be benden Nerven also sehr erschüttern wollest, wie ach, schon so oft, so oft. Nichts ist mir widerlicher als die Erinnerung daran, und wenn ich mich neunmal überrede, es sei nichts als der leidenschaftliche Ausbruch deiner Liebe, hilft nichts, es ist und bleibt mir unüberwindlich widerlich. Fürchten darf man nur Gott, darum ist ein fürchterlicher Mensch ein Entsetzen, ein Unding. Dafür •verspreche ich auch Dir, den Dämon in meiner Brust mit Ernst und Nachdruck zu zügeln und zu bezwin gen ..." Darauf Betty: „Buße habe ich genug durch das lange Getrenntsein..., und am Leid warst Du nicht nur die Hälfte, sondern beinahe ganz schuld. Du hast nie zu dieser schrecklichen Eifersucht Ursadie gehabt. Habe ich nicht, mein lieber Mann, schon voriges fahr mir Mühe gegeben, deine Leidenschaft mit Geduld zu ertragen und Dich nie mehr zu erschrecken? Aber weißt Du wohl, wie Du mich so fürchterlich gequält hast, habe ich nicht eiiunal weinen sollen..." Und Stelzhamer entgegnet: „In diesem unglücklichen Brief ist mir alles, alles, alles nicht recht! Meine wieder erwachte Tätigkeit, mit dem wachsenden Tag ebenfalls wachsende Tätigkeit hat mir dieser Brief wieder gelähmt, ja totgeschlagen. Das Bild, das ich mir seit einiger Zeit von Dir machte, das herr herrliche Bild voll Liebe zu Kind und Maim, voll Stark mut nach außen, voll Kraft und Wille nach innen, dieses herrliche, trostreiche Bild, dieses Bild voller Gnaden für mich uferlosen Pilger, hat dieser ganz prosaische, häß liche Brief wieder ganz, ganz verwischt... Dein auf geregter Kopf, deine schadhaften Schuhe, deine Schulden und leere Kassa dazu — das ist alles nichts, Lappalie! Meine Tätigkeit — mein Schaffenstrieb ist erwacht, und alles mußte sich ändern, schnell ändern und freundlich gestalten, aber was in deinem Brief steht, fällt wie Mehl tau auf junge Saat." Da sie ihm geschrieben hat, die Leute glauben, er sei auf sie böse, antwortet er in völliger Ver drehung der Tatsachen mit einer schweren Ver dächtigung der Untreue: „Weib, das Gerede der Leute ist etwas sehr Schlimmes, weil nichts ohne veranlassenden Grund geschieht — denn beurteile es dir selbst; böse sein, auf dich böse sein mußte ich, weil ich weder selbst kommen, noch dich zu mir rufen konnte. Warum aber bin ich auf dich böse? Weib, das Gerede der Leute ist etwas sehr Schlimmes. Wie frei hättest du sein können, seit ich dich kenne und habe, wenn du mir nur einmal den klaren Beweis ge geben hättest, daß du die wahre Freiheit im Herzen trügst... Ein auf Promenaden, Theater und Bällen usw. herumflattierendes Weib, dessen Mann in der Ferne weilt und schmerzlich mit dem Leben ringt, das ist kein freies Weib." Das „auf Promenaden herumflattieren" war aus der Mitteilung geschöpft, daß ihre Schuhe schad haft und reparaturbedürftig wären; das von den Bällen, weil sie harmlos erzählte, sie sei auf einen Ball eingeladen, gehe aber nicht. Im nächsten Brief gesteht ihm auch Betty freimütig zu, daß sie wirklich Lust gehabt hätte, auf diesen Ball zu gehen, um wieder einmal unter die Leute zu kommen, von denen sie ohnehin schon für dumm gehalten werde, weil sie ihnen möglichst ausweiche. Das Munkeln der Leute vom Bösesein klärte sie als dadurch entstanden auf, daß man in Ried allerorts rede, er habe eine Anstellung
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