2. Sensenindustrie Bei der Sensenindustrie ist eine Abgrenzung zwi schen Fabriks- und Gewerbebetrieb schwierig. Auf Grund der Größe (bis über 50 Beschäftigte pro Werk) gehörten die Hämmer zu den Fabri ken, durch ihr Verharren im traditionellen Betrieb ohne jede technische Erneuerung und ohne Nut zung der Dampfkraft wohl aber zum Gewerbe®®. Die Sensenindustrie befand sich seit Jahren in einer tiefen Krise und konnte daher vom Auf schwung der Gründerzeit wenig profitieren. Seit Ende der sechziger Jahre wurden Stagnations tendenzen bemerkbar, die ihre Ursachen in der Abhängigkeit vom Export hatten. Als im Jahre 1872 das wichtigste Abnehmerland, nämlich Rußland, sehr schlechte Ernten verzeichnete, blieb der Absatz an Sensen gegenüber dem Vor jahr um fast 40 Prozent zurück®^. Durch eine erneute Mißernte Südrußlands im Jahre 1873 ka men die oberösterreichischen Betriebe in eine äußerst kritische Lage. Die Handelskammer cha rakterisierte die Situation folgendermaßen, „tritt nicht bald eine Besserung in den Absatzverhält stellen. „Mit Schluß des Jahres 1874 waren Not verkäufe mit bedeutenden Verlusten fast an der Tagesordnung®®." Trotzdem konnte kaum mehr als die Hälfte der Sensen abgesetzt werden. Durch häufige Betriebseinstellungen drohte die Gefahr der Ab- beziehungsweise Auswanderung qualifizierter Arbeitskräfte, die vor allem von deutschen Fabrikanten umworben wurden. Den noch gelang es den oberösterreichischen Sensen industriellen unter großen finanziellen Opfern, die tüchtigen Arbeiter im Lande zu behalten®^. Zwischen den Jahren 1870 bis 1895 lassen sich zwei Entwicklungsrichtungen erkennen. Der erste Trend zeigt zwischen 1870 und 1880 einen leich ten Rückgang der Betriebe (10 Prozent) bei nahezu stagnierenden Beschäftigten- und Pro duktionszahlen. Nach 1880 trat eine spürbare Absatzverschlechterung ein, die im Krisenjahr 1885 ihren Höhepunkt erreichte®®. Die Kirch dorf-Micheldorfer Sensengewerksgenossenschaft stellte hiezu fest, daß in den letzten fünf Jahren kaum ein Viertel der Werke ständig arbeitete und über die Hälfte der Betriebe viertel- bis Sensen-, Sichel- und Strohmessererzeugung 1870 1875 1880 1885 1890 1895 Betriebe 51 47 46 38 31 30 Beschäftigte 1.102 1.073 1.100 820 1.017 1.094 Produktion in Stück 1,934.000 2,150.000 2,275.000 2,171.000 3,226.382 3,436.847 Wert in fl 1,166.500 1,208.750 889.700 Energie in PS 600 600 629 975 987 davon Dampfkraft in PS 8 18 79 Hämmer 192 166 nissen ein, so dürften im Laufe des heurigen Jah res (gemeint ist 1874) mannigfache Arbeitsein stellungen stattfinden®®". Die Feststellung des österreichischen Handelsministeriums aus dem Jahre 1870, daß ein Viertel der österreichischen Sensenwerke zum Stillstand verurteilt sei, unter strich den Ernst der Lage®®. Die rückläufige Entwicklung in der oberösterrei chischen Sensenindustrie setzte sich nach Aus bruch der großen Depression fort. Im Jahre 1874 häuften sich in vielen Werken die Vorräte, so daß man sich teilweise gezwungen sah, entweder die Produktion zu reduzieren oder ganz einzuBadringer Karl, Der Niedergang der Kleineisen industrie in den niederösterreichischen Eisenwurzen (1850—1914). Fallstudie einer industriellen Regression. Dissertationen der Universität Wien, Bd. 86, Wien 1972, S. 325. Summarischer Bericht 1872 . . ., S. 98 ff. Summarischer Bericht 1873 . .., S. 122. Beiträge zur Statistik der österreichischen Industrie. In: Nachrichten über Industrie, Handel und Ver kehr . .. S. 60. ^ Summarischer Bericht 1874 . .., S. 54. Statistischer Bericht 1870—1875 ..., S. 484. Nach Meinung der Handelskammer waren die Anga ben der Fabrikanten für 1885 zu niedrig. Vgl. Hoff mann Alfred, a. a. O., S. 18.
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