Ich mußte während des Spielens neben ihm sit zen. Einmal, bei einer besonders schönen Stelle, wandte er sich zu mir und sagte mir leise: „Das ist nicht von mir, das haben mir die Engerln vor gesungen." Oft erklärte er mir etwas vom Kontrapunkt und den Gesetzen der Harmonielehre und derglei chen, und ich sagte: „Ich verstehe ja nichts da von. Ja wenn meine Schwester hier wäre Er ließ mich gar nicht ausreden, sondern prote stierte gleich lebhaft: „Na, na, na, ka Schwester! Sie, das ist mir grad recht, bleibens nur bei mir! Wissens, wann i mir beim Komponieren was Liebes vorstellen kann, geht es ganz anders." Oft hielt er meine Hand und streichelte sie zärt lich. Da kamen mir kleine Bedenken. Ob ich mir das als Braut von einem fremden Mann gefallen lassen kann? Ich entzog ihm meine Hand und ging sogar aus dem Zimmer. Mein lieber Vater hatte das beobachtet, kam mir nach und sagte: „Aber Kind, sei doch nicht kleinlich. Den Bruck ner mußt du doch mit einem ganz anderen Maß stab messen als andere Menschen. Daß ein sol ches Genie durch dich ein paar fröhliche Stunden hatte, wird dir dein Leben lang eine schöne Erirmerung bleiben." Ich ging auch gleich wieder ins Klavierzimmer zurück und setzte mich zu ihm. Bruckner hatte in seiner Harmlosigkeit nichts von dem kleinen Intermezzo gemerkt, nahm gleich wieder meine Hand und streichelte sie. Ich sah den Vater an und freute mich. Der Vater nickte mir zu und lächelte auch. Wir mach ten auch einen Spaziergang über die Hofwiese, die eine schöne Gebirgsaussicht hat. Bruckner hängte sich ein und erzählte mir von seinem Leben in Wien. Seine Bescheidenheit war übergroß. So sagte er z. B.: „Daß i komponieren kann, das kommt da von, weil i soviel glernt hab! Da muß man ja komponieren können! Aber die jungen Kerle'von heute mit etli zwanzig Jahr, wanns a bissei Klavierspieln können, da wollns glei komponieren! Ja, da wird freili nix draus." Allmählich wurde es Abend und er mußte ins Stift zurück. Er nahm Abschied, und mit aufstei gender Wehmut sah ich ihm nach. Mir ahnte, daß ich ihn nicht mehr sehen werde, denn nach wenigen Jahren hatte er seine irdische Heimat mit der himmlischen vertauscht. Mir war er durch seine göttliche Musik immer verbunden geweEs ist bekannt, daß Bruckner gerne um Photographien in seinem weiblichen Bekanntenkreis warb^^, und werm er dann eine solche erhielt, in überschwenglichen Worten seinen Dank aus sprach. Auf ähnliche Weise dürfte auch ein Bild von Mathilde Fessl wie auch andere Photographien in seinen Besitz gelangt sein. Außerdem entsprach dies einem damaligen modischen Ge schmack. Indes, Frauen, denen Bruckner wirk lich nahe stand, gibt es nur ganz wenige: allen voran figuriert Ida Buhz, die er tatsächlich hei raten wollte und mit der er sich auch verlobte. Daß er in einem Schreiben (Linz, 16. August 1866) um die Hand Josefine Lang's anhielt, soll hier ausdrücklich vermerkt werden. Nach Göllerich hat Bruckner Ida Buhz in Berlin, wo er anläßlich der 23. TonkünstlerverSammlung weilte und wobei die Erstaufführung des „Te Deum" stattfand (31. Mai 1891), kennen gelernt. Ida Buhz, damals Zimmermädchen im Hotel „Kaiserhof", in dem Bruckner logierte, übergab ihm vor der Abreise ein Briefchen des Inhalts, ihn heiraten zu wollen. Nachdem Bruckner den Eltern einen Besuch abstattete, hielt er um ihre Hand an. Einer Mitteilung des St. Florianer Stiftsorganisten Josef Gruber zufolge, sollen sich die Eltern jedoch „ein Jahr Bedenkzeit ausbe dungen haben"^^. Bruckner blieb mit Ida Buhz im brieflichen Verkehr, und zwar bis zu seinem zweiten Aufenthalt in Berlin, im Järmer 1894. Hier sah er Ida Buhz wieder, die im Konzert am 6. Jänner — es fand die Aufführung der 7. Sin fonie statt — neben ihm in der Loge saß. Tags darauf fanden sich Bruckner und Hugo Wolf zur Hauptprobe des Philharmonischen Chores ein, und am Abend fand dann im Kreise der Familie die Verlobung mit Ida Buhz statt, die am dar auffolgenden Tag im Konzert des Philharmoni schen Chores abermals neben Bruckner Platz nahm^®. Warum es jedoch rücht zur Heirat kam. Vgl. u. a. Gräflinger, S. 109 und S. 117. GöUerich IV/3,160. Eine ausführliche Sdiilderung dieser erlebnisreichen Tage findet sich bei Gölleridi lY/3, 367—^373.
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