Die Kirchenstuhlschilder in der Pfarrkirche St. Wolfgang Von Wolfgang P f a r I Mit 20 Abbildungen In einer Zeit wie der unsrigen, in der die Verdinglichung auf breitester Front fortschreitet, ha ben es Wallfahrtskirchen besonders schwer. Das ehrwürdige Gotteshaus in St. Wolfgang war jahr hundertelang an Pilgerscharen gewöhnt, an Män ner und Frauen von weither, welche die heute schon altertümlich klingende Beifügung „fromm" verdient haben mögen. Heute kommen nur mehr einige wenige Gruppen — nämlich zum heiligen Wolfgang, in Not und Gottvertrauen. Die zigtausend restlichen Besucher bewegen andere Mo tive. In ihrer Mehrzahl wollen sie das Werk des Michael Fächer sehen und vermeinen sich daher viel eher im Museum als in einem Gotteshaus. Das spätmittelalterliche Riesenbilderbuch ver fehlt dann freilich auch seine eigentliche Wirkung und zeigt sich nur als raffiniertes Mal- und Schnitzwerk bzw. als Objekt mehr oder weniger feinsinniger Kunstbetrachtung. Viele Besucher lassen sich mit Kunstbüchern beobachten, wie sie vor dem Altar stehen, dann in der Kirche her umwandern, immerfort nachschlagend und auf schauend, so daß der Eindruck entsteht, sie woll ten kontrollieren, ob alle Engel und Heiligen noch an Ort und Stelle wären. Die kleinen Schilder auf den Bänken, von denen hier die Rede sein soll, fallen solcherart Kunst interessierten erst dann auf, wenn sie in einer der Bankreihen Platz genommen haben, sei es aus Müdigkeit oder weil ein Gottesdienst das Herumgehen verbietet. Im letzteren Fall kann es dann passieren, daß sie auch mit der Funktion der „Stuhltaferl" vertraut werden, denn heute noch folgen die meisten Einheimischen der schon jahrhundertealten Sitzordnung. Und weil man che darin noch immer sehr akkurat sind, hat schon mancher Auswärtige rücken, wenn nicht gar aufstehen müssen. Wann mit der Vergabe der Kirchenstühle begon nen wurde, läßt sich mangels überkommener Aufzeichnungen schwer sagen, jedenfalls aber nicht später als um 1778, denn diese Jahreszahl trägt das älteste Taferl, das im Lauf seiner vielen Jahre schon ganz schwarz geworden ist. Ein zwei tes und drittes Blechschild sind diesem ältesten ganz ähnlich und nach den Jahreszahlen eben falls vor der Wende zum 19. Jahrhundert auf genagelt worden. Diese vermutlich erste Gene ration mit getriebenen Buchstaben und Ziffern erfuhr ab 1795 ihre Ablöse durch Messingschil der mit Gravuren, wenn auch manche jüngere Schilder weiterhin aus Eisenblech gefertigt wur den. Daneben finden sich mit unterschiedlichen Jahreszahlen Taferl aus Holz, aus Leder und aus Porzellan. Als besonders gediegenes Unikat ver dient die kleine Platte aus Adneter Marmor mit zahlreichen weißen Fossileinschlüssen Erwäh nung, mit der der Fischer Höplinger seit 1842 sei nen Anspruch auf den Kirchenstuhl befestigt weiß (Abb. 13). Das jüngste und vom Material her modernste Schild ist ein kleines Kunststoff band, das in einer Prägemaschine, wie man sie auf Bahnhöfen findet, bedruckt wurde (Abb. 11 unten). 451 Schilder lassen sich insgesamt zählen — heute noch, denn von einer Sommersaison zur ande ren werden es gerne um ein paar weniger: So mancher Besucher hat sich schon mit Taschen messer oder Nagelfeile bedient, so daß etliche besonders schöne Schilder sinnentleert in irgend welchen Souvenirsammlungen wer weiß wo her umliegen. Inhaber eines freien Kirchenstuhles konnte jedermann werden, sobald er beim Mes ner in der Sakristei den Platz löste und am An fang jeden Jahres den Mietschilling entrichtete. Den Ausdruck „sich einen Kirchenstuhl lösen" nahmen drei Bauersleute aus dem Untergäu so gar in den Text ihrer Taferl auf: „Theresia Lienortnerin, in der Ortschaft Grabm, hat sich gelest dieses Ort. 18 Anno 01. Nr. 14" (Abb. 5). „Diese zwey Sitz hat Vinzenz und Maria Linortner an sich gelöst. 1838" (Abb. 10). „Joseph Linbacher Bauer in Gram. An Sich Ge lest. 855" (Abb. 17). Die Jahresmiete betrug in der unmittelbaren Nachkriegszeit S 3.— und erhöhte sich bis 1970 auf S 20.—. Seit 1971 werden keine Kirchen stühle mehr vergeben und wird auch keine Miete mehr eingehoben. Grundsätzlich wurde jeder Platz vermietet und mit einem Schild, später auch mit einer fortlau fenden Nummer, ausgezeichnet. Von der Taxe befreit waren die Plätze der Geistlichen Schwe stern, des Pfarrhofpersonals, der Lehrer und der Zechpröbste sowie der Schemel des Totengrä bers. Ob vom Platz Sicht auf den Altar gegeben war oder aber etwa die breiten Säulen im rück-
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