Das Mühlviertel im „Boiohaemum celticum" Ein Versuch zur Erklärung topographischer Namen Von Alois Ernst Milz Die vorliegende Arbeit hat in den Rahmen einer Untersuchung des keltisch besiedelten Raumes von Südböhmen auch das Mühlviertel mit einbe zogen. Diese Landschaft, im Schnittpunkt der Nord-Südachse Elbe — Moldau — Haselgraben — Trarm — Hallstatt mit der großen West-OstTransversale der Donau gelegen, erweist sich als ein Teil dieses „Boiohaemum". Die bemerkenswerte Zahl der Steinbeile, die Hortfunde der Bronzezeit^, der uralte SalzhandeP sprechen für die Bedeutung und Stellung des Mühlviertels seit gut 4000 Jahren, von der Jüngeren Steinzeit bis ins ausklingende Latene, bis in unsere Zeit. Eine intensivere Untersuchung, gestützt auf die in Böhmen und Mähren mit bedeutender staat licher Unterstützung unternommenen archäologi schen Forschungen, hat ein weitaus stärkeres Fortleben illyrisch-keltischen Namensgutes fest stellen können als man bisher angenommen hat. Dies bezieht sich auf Fluß- und Bergnamen wie auch auf Orts- und Personennamen. Die allzuwörtliche Auslegung jener bekarmten Kapitel 28 und 42 der Germania des Tacitus®, aus denen man die restlose Abwanderung der Bojer aus Böhmen ableitete, hat zusammen mit dem Vorkommen auch slawischer Siedler in einigen Teilen des Mühlviertels dazugeführt, daß man bisher an die Möglichkeit einer keltischen Namensüberlieferung auch hier erst gar nicht gedacht, oder sie zumindest unterschätzt, und daher manches, das nicht aus dem Deutschen zu erklären war, dem Slawischen zugerechnet hat. Die Länder Böhmen und Mähren gehören zu den östlichen Bildungszentren des Keltentums, dessen Grundschichte auch hier seit der älteren Eisenzeit illyrisch und von der Hallstattkultur geprägt war^. In Nordostbayern, in Südwest- und in Südböh men ist es vor allem das Volk der Hügelgräberkultur®'®. Das Mühlviertel bildet dabei natur gemäß eine Brücke zwischen Böhmen und dem Alpenraum. Die illyrischen Flußnamen Naarn, Aist und Isper, sowie archäologische Hinweise bestätigen dies^. Um 500 a. C., zu Beginn der Latenezeit, wird in Mittelböhmen eine ausgesprochene Herrenschidit erkennbar, die den Namen Bylaner Kultur er halten hat®. Ihre Hinterlassenschaft — reich aus gestattete „Fürstengräber" mit zwei- und vier rädrigen Wagen, auf denen die Leichen ruhten — ist auch in Süddeutschland und bis Ostfrank reich hin zu finden®. Diese urkeltische Aristokratie verbreitet sich netzartig über Mittelböhmen und greift bis tief in den Süden des Landes. Mit ihr beginnt die Keltisierung Böhmens. Ihr folgen in den nächsten Jahrhunderten aus dem damals keltisch besiedel ten Thüringen starke Stammesverbände. Sie siedeln in Böhmen im Egertal, an der Beraun, im Prager Raum, in der fruchtbaren „Goldenen Rute" des Elbetales. Ihre Skelettbestattungen in Flachgräbern ziehen sich über Oberschlesien, Mähren bis in die Slowakei und den KarpatenkesseP®. Bisher hat man diese Kelten für die historischen Bojer gehalten. Der tschechische Historiker ' Josef Reitinger: Die ur- und frühgeschichtlichen Funde in Oberösterreidi, Linz 1968, Fundkarten. — Ders.: Karte 44 und 45 (Urgeschichte) im Atlas von Oö., 3. Liefg., Linz 1966; dazu im Erläuterungsband S. 39 ff. - Leonhard Franz: Eine keltische Niederlassung in Süd böhmen; Abh. d. Deutschen Akad. d. Wiss. Prag 1942, S. 45. ' P. C. Tacitus: Germania, Kap. 28: „Noch ist der Name Boihämum geblieben als Erinnerung an die Geschichte des Landes, wenn auch die Bewohner gewechselt ha ben." — Kap. 42: „Sogar den Besitz des Landes ver danken sie [die Markomannen] ihrer Tapferkeit, denn sie haben einst die Bojer daraus vertrieben." * Lothar Zotz: Von den Mammutjägem zu den Wikin gern, Leipzig 1944, Kap. 7, 8. ° Helmut Preidel: Die vor- und frühgeschichtlichen Sied lungsräume in Böhmen und Mähren, München 1953, S. 79. ® Emanuel Simek: Posledm Keltove na Morave (Die letzten Kelten in Mähren), Brünn 1958, mit dt. Zu sammenfassung. S. 15. ' Josef Reitinger: Oberösterreich in ur- und frühgesch. Zeit, Linz 1969, S. 180. S. 173: zit. E. Kranzmayer: „Die Ortsnamen sind das allerbeständigste Gut, das überhaupt von der Heimatgeschichte zu erzählen weiß." ® L. Zotz, wie Anm. 4, S. 56. J. Filip: Keltove ve stfednf Evrope (Die Kelten in Mit teleuropa), Prag 1956, Bylaner Kultur: S. 250, 252—263, 267, 288, 299, Karte S. 273. ' Rudolf Partner: Bevor die Römer kamen, Düsseldorf 1961, S. 308 ff. — Oswald Menghin: Einführung in die Urgeschichte Böhmens und Mährens, Redchenberg 1926, S. 77. — Christian Pesdiek: Bemalte Keramik vor 2000 Jahren, Wien 1944, S. 22 ff. J. Filip, wie Anm. 8, Verbreitungskarten der keltischen Flachgräber, S. 67, 71, 73.
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