OÖ. Heimatblätter 1971, 25. Jahrgang, Heft 3/4

Beobachtungspunkt auf dem Pöstlingberg ausgesucht. Knapp vor dem Schließen des Stadt tores stieg er mit zwei Begleitern in einstündigem Fußmarsch hinauf, stellte auf einem abge ernteten Feld seine Geräte auf. Ein Bauer in der Nähe aber hatte ihn bemerkt, zwei Stunden hindurch schlug dieser lärmend die Torflügel aneinander und schrie sich heiser, schickte schließlich einen Boten aus, der die Nachbarn herbeirief, um die lästigen Fremden zu ver treiben. Ein Baumstumpf in einiger Entfernung vom ursprünglichen Platz mußte dann als Unterlage dienen, doch waren weder Fackel noch Kerze aufzutreiben, das Anzünden eines offenen Feuers aber wegen der Brandgefahr nicht ratsam. Mit glühenden Kohlen hantierend wurden auf dem hölzernen Instrument die Marken eingebrannt, Kepler selbst lag ausge streckt auf dem Boden und zeichnete auf taufeuchtem Papier teils bei Mondlicht, teils beim Schein der glimmenden Kohle die Beobachtungen auf. — Gelegentlich fuhr der unheimliche Zeitgenosse von Ort zu Ort, besah die Kirchen, ging den Flüssen und Bächen nach, fragte nach den Bergen und Höhenzügen und beschritt verwachsene Pfade. Argwöhnische Bauern stellten ihn immer wieder zur Rede, wollten grob gegen ihn werden, und nur durch reich liches „Trinkgeld" (im wahrsten Sinne des Wortes) konnte Kepler Auskünfte erhalten — meist endete es damit, daß der Gewährsmann nicht mehr antworten wollte oder vom Alkohol betäubt war^. Kepler besaß auch ein kleines, vollkommen abgedunkeltes Zelt, das gerade für eine Person ausreichte. Es war wie eine Windmühle drehbar und bot die Möglichkeit, durch ein wenige Zentimeter großes Loch mit einem Linsensystem auf speziell vorbereitetem Papier die Linien der Landschaft nachzuzeichnen. Der englische Gesandte Sir Henry Wotton bewunderte bei seinem Besuch in Keplers Arbeitszimmer im August 1620 eine solche Land schaftszeichnung, als deren Autor sich jener lächelnd bekannte: „non tanquam pictor, sed tanquam mathematicus^". — Und schließlich wußte man, daß Kepler Voraussagen für die kommenden Jahre verfaßte, ja daß immer wieder Besucher zu ihm kamen, denen er das Schicksal aus den Sternen deuten mußte». Es liegt kein zeitgenössischer Bericht vor, aber man wird wohl nicht fehlgehen mit der Meinung, daß Kepler den einfachen Leuten seiner Umwelt als Schrullenkopf, als unheimlicher Patron, ja selbst als Zauberkünstler erschienen sein muß. Für die Bediensteten der oberösterreichischen Stände' stellten sich die Verhältnisse wiederum ganz anders dar. Da war ein Mann nach Linz gekommen, der durch mehr als ein Jahrzehnt dem verstorbenen Kaiser gedient hatte, der wegen dessen Vorliebe für Astro nomie, Naturwissenschaften, Alchemie usw. zu den Bevorzugten am Prager Hof gehört hatte und jetzt um die Auszahlung seiner Besoldungsrückstände kämpfen mußte. Kepler war ein Landsmann des ehemaligen Rektors der Landschaftsschule in Linz, des Schwaben Johannes Memhard, dem noch immer die Betreuung der ständischen Bibliothek oblag. Im Jahre 1609 war die durch Eingreifen der kaiserlichen Reformationskommissäre acht * Kepler schildert in ähnlicher Form seine Arbeit an der oberösterreichischen Landkarte im Bericht an die Stände vom 9. Mai 1616, Gesammelte Werke 17, Nr. 734, S. 172 fT., übersetzt bei Caspar - von Dyck 2, S. 57 ff., und bei Schmidt, S. 249 f. Dazu ausführlich Hanns Kreczi, Kepler, Holzwurm und die oberöster reichische Landkarte, Beiträge zur Linzer Stadtgeschichte 1, 1947, S. 15-21. » Die Beschreibung mit einer Abbildung der betreffenden Stelle aus den gedruckten englischen Briefen Sir Henry Wottons bei Walther Gerlach-Martha List, Johannes Kepler, 1971, S. 181 und Abb. 204. » In den Pulkowoer Kepler-Manuskripten, Band 18 und 21, finden sich Horoskopfiguren für insgesamt rund 800 Personen, einige aus Studienzwecken von Kepler angelegt, viele auf Bestellung. Ausführlich behandelt wurde bisher nur eines: Martha List, Das Wallenstein-Horoskop von Johannes Kepler, in: Johannes Kepler, Werk und Leistung, Katalog 1971, S. 127—136. Die im Wiener Kunsthistorischen Museum befindliche Ausführung bei Schmidt, Kepler, S. 176, Nr. 142. ' Zu Keplers Kontakten zu den Mitgliedern der Landschaftsschule und zu anderen Bediensteten der Stände vgl. Georg Wacha, Linz zur Zeit Keplers, in: Johannes Kepler, Werk und Leistrmg, Katalog 1971, S. 21 f.

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