Auf der alten Ansicht ist noch das Entstehen des Baues aus zwei dreiachsigen Bürgerhäusern abzulesen, die beide mit teilweise abgewalmtem Dach senkrecht auf den Hauptplatz bzw. parallel zur westwärts führenden Keplerstraße stehen. Ein wuchtiger Erker über dem Ein gang ruhte auf zwei gedrungenen Säulen. Heute hat das Gebäude viel von seiner gravitäti schen Ruhe und früheren Behaglichkeit eingebüßt. In Eferding, am dritten Tage nach seiner Ankunft von Regensburg, als der Termin der Hochzeit schon genau fixiert war, beschrieb Kepler einem Adeligen, wohl dem kaiser lichen Rat Baron von Strahlendorff, in einer Art Gewissenserforschung die Vorgeschichte der zweiten Heirat. Er schildert die Schwierigkeiten, die ihm auf der Brautschau begegneten^^® und berührt dabei wohl nicht konfessionelle Probleme, will aber die Frage beant worten; „War es göttliche Fügung oder moralische Schuld von ihm selbst, daß sein Sinn in den vergangenen zwei Jahren nach so vielen Richtungen hin gezogen wurde?" Von einer Witwe in Prag angefangen, hatte der unschlüssige Freier nach und nach insgesamt elf Partien ins Auge gefaßt, um schließlich mit der fünften - nach seiner Zählung - den Ehebund zu schheßen. Nachdem das Projekt mit der nicht unvermögenden Witwe geschei tert war, Kepler es auch als unschicklich empfunden hatte, daß man ihm dafür die (abwe sende) Tochter als Braut antrug, fuhr er über Kunstadt in Mähren nach Oberösterreich, ließ unterwegs die Kinder in der Obhut bei einer Jungfrau, doch bald darauf zerbrach alles wieder und es verursachte ihm manche Auslagen, um die Kinder dann in seine neue Hei mat - zuerst nach Wels, schließlich nach Linz - zu bringen. Es folgte noch im Jahre 1612 die erste Linzerin, „des hem Eimpachers dochter^^^", als vierte Bewerberin, von hohem Wuchs und athletischem Körperbau. Bald aber trat die fünfte auf den Plan, Susanna Reuttinger, sie „obsiegte durch ihre Liebe und durch das Gelöbnis von Bescheidenheit, Sparsamkeit, Fleiß, Liebe zu den Stiefkindern, auch gefiel mir an ihr, daß sie verwaist und ohne Anhang war". Die Gattin Helmhard Jörgers sollte damals beratend eingreifen, sprach eigentlich für die vierte Kandidatin, doch war diese des Wartens überdrüssig geworden und hatte einen anderen Antrag ange nommen. Sechs Konkurrentinnen mußte die fünfte - Susanne Reuttinger — noch innerhalb Jahresfrist (1612/13) hinnehmen, die Stieftochter bezog in einem originellen Schreiben^®® gegen sie Stellung. Erst im Augenblick der Abreise nach Regensburg kehrte Kepler zur fünften Bewerberin zurück, gab ihr sein Wort und erhielt das ihre. Susanna Reuttinger hatte in jungen Jahren beide Eltern verloren, sie war im Starhembergischen Schloß aufge zogen worden, wohl nicht direkt in einer Schule^®®, aber in dem großen Haushalt bzw. der Hofhaltung, die die Starhemberger in Eferding entfalteten. Elisabeth von Starhemberg, eine geborene Ungnad von Sonneck, hatte die Erziehung geleitet, Erasmus von Starhemberg bestimmte Eferding als Ort der Trauung. Hier trafen verschiedene Gründe zusammen: das Aufwachsen der Braut in Eferding, die Möglichkeit, dort unbehelligt vom Landhausprädikanten zur Kirche und wohl auch zum Sakramentenempfang zu gehen sowie das Ausweichen vor der in Linz grassierenden Seuche. Nicht unwesentlich trug zu diesem Entschluß bei, daß Susanne Reuttinger sicher keine Bedenken hatte wegen Keplers religi- '®® Die Hinweise auf diesen oft herangezogenen Brief Keplers siehe in Anmerkung 1. ®®' So bezeichnet im Brief der Stieftochter Regina Ehem an Kepler vom 3. September 1612, Gesammelte Werke 17, Nr. 634, S. 25. 1®® Siehe vorige Anmerkung. '®® Kepler spricht allerdings selbst von einer Erziehung seiner Braut durch zwölf Jahre „in Gynaeceo Dominae loci" Ganz ohne Anhang war Susanne Reuttinger nicht, ihr Bruder lebte als Tischler in Danzig, am 1. März 1615 übermittelte Kepler an Peter Crüger einen für den Schwager bestimmten Brief (Caspar-von Dyck 2, S. 44, Gesammelte Werke 17, Nr. 710, S. 137), noch 1616 ist in der Korrespondenz mit Crüger von diesem Schwager die Rede (Gesammelte Werke 17, Nr. 727, S. 159).
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