2. Die Aussage der Ortsnamentype Die Methode, sich nur auf die urkundlichen Ersterwähnungen zu stützen, führt demnach allein nicht zum Ziel. Sie bedarf dringend der Ergän zung durch die eigentliche Ortsnamenkunde. Die se kann durch sprachwissenschaftliche Kriterien aus einem Ortsnamentypus auf die Entstehungs zeit schließen, da jeder dieser Typen erfahrungs gemäß nur innerhalb eines bestimmten Zeitrau mes — meist nur etwa zweier Jahrhunderte — zur Bildung von Ortsnamen verwendet wurde. Für den bairischen Siedlungsraum sind die so genannten „ing-Namen" ein solcher Typus. Sie gehören der frühesten Siedlungsperiode an und lassen die Zugehörigkeit der Siedlung zu der Per son oder der Personengruppe des Gründers er kennen. Nach I. KouriP war „-ing" als orts namenbildendes Suffix in Oberösterreich von der Zeit der bairischen Landnahme bis ins 8. Jahr hundert wirksam. Selbstverständlich wird man bei der Auswertung des Ortsnamenmaterials auf -ing stets darauf zu achten haben, nur die so genannten „echten" -ing-Namen ins Kalkül zu ziehen, d. h. jene, in denen -ing tatsächlich altes ZuordnungsSuffix ist, während die „unechten" -ing-Namen durch Umformung anderer Suffixe oder Endungen entstanden sind wie etwa Dorning (1325) aus „Dornach" = Dornengestrüpp, oder Aiching (1518) aus „Zu den Aichen" = Ei chenbestand. In Karte 2 sind daher nur jene -ing-Orte eingetragen, die mit Sicherheit der früh mittelalterlichen Periode angehören tmd dies durch Urkunden aus der Zeit vor 1300 bestätigt werden kann. Die Kenntnis der Verbreitung der „echten" -ing-Namen gehört zu den Fundamenten der hi storischen Landeskunde von Oberösterreich. Un ter allen österreichischen Bundesländern hat Oberösterreich die meisten Zeugnisse für diesen Namentypus. Nicht weniger als vier Prozent aller Siedlungsnamen sind hier mit diesem altgermani schen Suffix gebildet. In der Verteilung der Belege der -ing-Orte fällt auf, daß sie sich im Alpenvorland, also zwischen dem Granitmassiv und der Flysch-, bzw. Kalk alpenzone, massieren und eine deutliche Stoß richtung von Westen nach Osten aufweisen. Gut erkennbar ist, daß die großen Waldlandschaften des Weilhart-Forstes, des Kobernaußer-Waldes und des Hausrucks belegleer geblieben sind. -ingOrte finden sich eben nur, wo guter Ackerboden vorhanden ist. Das zeigt sich z. B. auch an der Traun, da das Netz der -ing-Namen dort sofort weitmaschiger wird, wo der fruchtbare Boden dem Schottergebiet der sogenannten Traun-Ennsplatte weicht. Deshalb sind sie auch nur in den donau nahen Teilen des Mühlviertels zu finden und feh len im Salzkammergut. Eine überraschende Entdeckung gelang E. Musil" mit der Erkenntnis, daß auch die Ortsnamen auf -heim, -ham, z. B. Aistersheim, Kirchham, denen gleichfalls ein sehr hohes Alter zukommt, nur in Landstrichen mit guten Ackerböden auftreten. Obwohl diese Namen den Urkunden nach etwas jünger sind, stellen offensichtlich auch sie einen Typus dar, der noch der Zeit der bairischen Land nahme zuzuordnen ist. (Da sich das Verbreitungs gebiet der -heim-Namen weitgehend mit jenen der -ing-Namen deckt, konnte hier auf eine eigene Karte verzichtet werden.) Auch die Siedlungsnamen auf -felden, -hausen, -hofen, -kirchen und -Stetten (sofern diese Grund wörter ursprünglich sind und nicht analog nachge bildet wurden) sind nach den Untersuchungen der Ortsnamenkunde noch vor 1100 entstanden'', des gleichen jene Namen, die mit -bach, -ach (in der Bedeutung: Fluß), -hag, -wang, -weng gebildet sind®. Selbst wenn noch keine Urkunden aus dieser frühen Zeit vorliegen, kann der sprachli chen Merkmale wegen ihre zeitliche Einordnung in die Periode vor der nun zu beschreibenden Binnenkolonisation erfolgen. Vom bereits besiedelten Zentralraum des Lan des aus werden ab etwa 1100 die agrarisch und verkehrsmäßig nicht mehr so günstigen Landstri che mehr oder weniger systematisch erschlossen. Diese Periode dauert kaum länger als zwei Jahr hunderte. Bei der Betrachtung der Siedlungsna men fällt auf, daß ungefähr um 1100 völlig neue Namentypen aufkommen. Sie nehmen noch mehr als die früheren bezug auf die Landschaft durch Hinweise auf „-au", „-berg", „-tal", „-buch", „-eich" und so weiter. Etwas später gesellen sich zu ihnen Namen, die auf Besitzverhältnisse hin weisen wie „-hub" oder „-wirnm"®. Die wichtigste * Zur Ortsnamenkunde von Oberösterreich s. u. a. E. Kranz mayer, Die Besiedlung der Umgebung von Steyr im Lidite 'der Ortsnamen. In: Veröffentlichungen des Kulturamtes der Stadt Steyr. Steyr 1953, 73; ders.. Die Ortsnamen des Bezirkes Wels als siedlungsgeschid\tliche Quelle. In: Jahrbudi des Museal vereines Wels 1956, Wels 1956, 63. ® I. Kouril, Die echten -ing-Namen in Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg. Phil. Diss. (ungedr.), Wien 1950. Zum selben Ortsnamentypus s. Kranzmayer, Die Be siedlung der Umgebung von Steyr usw. und ders.. Die Orts namen des Bezirkes Wels usw. • E. Musil, Die Ortsnamen auf -heim im Westen Ober österreichs. Phil. Diss. (ungedr.), Wien 1953. ' E. Kranzmayer, Ortsnamenbuch von Kärnten. Bd. I, Kla genfurt 1956, § 88. ® A. Etz, Zur Betonung zusammengesetzter deutscher Orts namen. In: Disputationes ad Montium Vocabula (= Beridit des 10. Internationalen Kongresses für Namensforschung), Bd. I, Wien 1969, 233 ff. ® Etz, a. a. O., 233, 235 f.
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