OÖ. Heimatblätter 1969, 23. Jahrgang, Heft 1/2

fixiert zu haben. Und selbst bei unseren heutigen historischen Kenntnissen können wir die Möglichkeit nicht völlig ausschließen, daß Vivilo einmal in Lorch gewesen sei. Gewiß, Pilgrim ging sehr weit und überragte seine Zeitgenossen und Mitbischöfe als Fälscher „an Phantasie und Ungestüm in der Durchführung seiner Pläne" (Fichtenau). Aber vielleicht dürfen wir doch mit Max Heuwiesersagen,daß der Passauer Bischofunter dem Eindruck des eben geschilderten Befundes „selbst an gewisse Vorrechte Passaus" geglaubt und „in der späteren Überordnung Salzburgs (798 Erzbistum unter Arn durch Karl d. Gr.) eine Unterdrückung älterer Rechte Passaus" gesehen hat. „Seine Lorcher These litt nur an dem mangelnden Nachweis dafür, daß mit Vivilo auch die alten Metropolitanrechte Lorchs aufPassau übergegangen waren. Er überbrückte diese Lücke damit, daß er die Mis sionsarbeit und kirchliche Geltung der Passauer Bischöfe im ehemaligen Pannonien nach Niederwerfung der Avaren hervorhob und dadurch neuerlich Anrechte auf den Lorcher Sprengel und die alten Lorcher Rechte begründet fand. Nachdem durch die Ungarn wieder alles zu Verlust gegangen war, bot sichjetzt durch die Ungarnmission neuerdings Gelegenheit und ein gewisses Vorrecht,das Verlorene und noch mehr zurückzugewinnen. Wenn er seiner Auffassung von der geschichtlichen Entwicklung, den darin liegenden Vorrechten Passaus und seinen noch weiter reichenden Plänen in unechten Urkunden Ausdruck verlieh und ihnen damit auch Geltung zu verschaffen suchte, so entspricht dieses Verfahren wohl nicht unserer Auffassung von Exaktheit, das Mittelalter aber nahm daran weniger Anstoß"^'. 6. Das Mittelalter war stark autoritätsgebunden*®. Die Dekretalen Georgs IX. scheuten sich nicht,Sätze Isidors von Sevilla dem hl. Augustin zuzuschreiben,weil sein Name eine bessere Garantie dafür war, daß diese Satzungen befolgt würden*'. Damit hängt es auch zusammen, wenn man Schenkungen Persönlichkeiten zuwies, die sie sicher nicht voll zogen hatten, so etwa, wenn man in St. Nikola in die Güterliste des „Stiftbriefs" auch Be sitzungen aufnahm, die dem Kloster erst nach dem Tod des Fundators Altmann übertragen worden waren.Ich könnte mir vorstellen,daß ein derartiger „Fälscher" ebensowenig empfand wie die Kompilatoren des Alten Testamentes, die Gesetze dem Moses zuschrieben, obwohl sie bestimmt nicht seiner Zeit angehörten". Moses galt ihnen eben als der Exponent gesetz geberischer Tätigkeit. Was man Moses zuschrieb, schrieb man indirekt Gott zu. Und von Gottkommtalles Recht.Jeder,der Gottes Recht förderte, war eine Art Moses,warum sollte man ihm nicht die sprachliche Formulierung für ein Gesetz, das seinem Geist entsprach und das er sicher gefördert hätte, zuschreiben, wenn dadurch dessen Beobachtung besser garantiert war? Ganz ähnlich mag ein mittelalterlicher Mönch die Klostergüter auf einen allgemein bekannten Wohltäter zurückgeführt haben, weil dessen Name eine Art Schutzwall bedeutete. Bei der Autoritätsgebundenheit des mittelalterlichen Denkens wurde eine solche Vorgangsweise außerdem vom „Publikum" geradezu provoziert. 7. Ein anderer Grund für die Rückdatierung von Rechtsgeschäften liegt in dem seit Chlotar II. (Edikt von 614) angewendeten Grundsatz, daß das ältere Recht das jüngere breche®*. Unser Kremsmünsterer Beispiel liefert einen guten Beleg. 1247 hatte *' M.Heuwieser, Geschichte des Bistums Passau I, Passau 1939, S. 89. Beifügung in Klammern von mir. Die von Heuwieser angenommenen Lorcher Metropolitanrechte sind zu bezweifeln, was aber nicht ausschließt, daß Pilgrim an sie glaubte. *' Schreiner, a. a. O., 14. *' Fuhrmann, Schlußwort, a. a. O., 587-589. "Vgl. z. B. den Abschnitt „Die Rolle des Moses" in A.Robert-A. Feuillet, Einleitung in die Heilige Schrift I: Altes Testament. Deutsche Ausgabe bei Herder, Wien-Freiburg-Basel 1963, 338f, wo der Autor bei der Kompilation der Gesetze „gerne das Vermächtnis des Moses erblicken (möchte)". "Bresslau, a. a. O.,645. 30

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