OÖ. Heimatblätter 1969, 23. Jahrgang, Heft 1/2

Überlieferungen nicht mehr genügend Gewicht. Diesen m. E. sehr wichtigen Gesichts punkt hat Horst Fuhrmann in seinem Referat unerwähnt gelassen. Von hier aus dürfte sich auch eine Erklärung finden lassen, warum nach dem 12.Jh. die Fälschungen immer seltener wurden. Rechtsgeschäfte wurden nun eben gleich schriftlich vollzogen und man war auf deren spätere Dokumentierung mit Hilfe von Falsifikaten nicht mehr in dem Maße ange wiesen.(Außerdem hatten natürlich Maßnahmen wie die Edikte Innozenz' III. gegen die Fälscher^® den kritischen Sinn geschult, so daß mit der Zeit das Fälschen immer schwieriger wurde.) 5. Das Verhältnis des mittelalterlichen Menschen zur Wahrheit und zum Recht war anders als das des Menschen von heute. Es war stark subjektiv gefärbt. Recht und subjektiver Rechtsanspruch galten als ein und dasselbe. Die konkrete Lebensordnung wurde mit der göttlichen Weltordnung gleichgesetzt, ihre Verletzung daher als ein Verstoß „wider Gott und das Recht" empfunden^^. Für Belege sei auf die Arbeiten Fritz Kerns und Otto Brunners verwiesen^®, die sich u. a. auf den Sachsenspiegel Elpe von Repgaus (nach 1200) berufen. Ausgehend von solchen Erkenntnissen sind die genannten Autoren zur Überzeugung gelangt, daß es der Mensch des Mittelalters geradezu als seine Pflicht angesehen haben muß, das gestörte (subjektive) Recht zu korrigieren^®. Ein Mittel hiezu war ihm das „ge fälschte" Dokument. Vielleicht war, wie Fritz Kern es sehr pointiert zum Ausdruck ge bracht hat, mancher „Fälscher" wirklich der Meinung,sich mit seiner Tätigkeit, die ja nur der „re-formatio" diente**, den Himmel verdienen zu können**.Es gingja nicht, wie auch die Mondseer und Kremsmünsterer Beispiele - in beiden Fällen war man bestrebt, abhanden gekommenen Stiftsbesitz rückzugewinnen-gezeigt haben,um eine Verfälschung des Rechtes, sondern nur um die Schaffung neuer Beweismittel,die soweit gut waren,als sie überzeugten**. Es ist wohl nicht zu kühn, auch die Lorcher Fälschungen in diesem Licht zu sehen. Pilgrims Einfluß erstreckte sich, wie wir sahen, de facto ja tatsächlich bis Ungarn, wo es damals noch keine kirchliche Organisation gab. Konnte er sich nun nicht mit einem gewissen Rechtfragen, ob er nicht einen Anspruch daraufhabe,daß dieses durch ihn dem Christen tum erschlossene Gebiet seinem Bistum angegliedert werde. Der erste Passauer Bischof, Vivilo, war bereits vor der Durchorganisierung der bayerischen Kirchenprovinz durch Bonifazius vom Papst selbst zum Bischof geweiht worden. Er war damals der einzige legitime Bischof in Bayern, wie wir aus dem Briefverkehr des hl. Boni fazius mit Rom erfahren. Davon konnte Pilgrim Kenntnis haben. Auch mochte er sich die Frage stellen, ob nicht Vivilo vor der Organisierung des Bistums durch Bonifazius (739) anderswo residiert habe.Wenn er annahm,daß es Lorch war,dann war vielleicht der Wunsch der Vater des Gedankens, mochte doch Pilgrim der Meinung sein, daß der ehemalige „pontifex" von Lorch Metropolitanrechte hatte. AufGrund der ihm bekannten historischen Be deutung Lorchs scheint er dann den Gang der Ereignisse rekonstruiert und urkundlich *" Darüber vgl. z. B. P. Herde, Römisches und kanonisches Recht bei der Verfolgimg des Fälschungsdelikts im Mittelalter,in:Traditio. Studies in Ancient and MedievalHistory, Thought and Religion 21(New York 1965) 291-362. ** Ähnliche Auffassungen sind außerhalb Europas - etwa im Orient - noch gang und gäbe. Beispiele für das Mittelalter bei O.Brunner, a. a. O., 134. *® Vgl. Anm.26 f. *' Kern, a. a. O.,51. Referierend Bosl, a. a. O.,505,und v. Brandt,a. a. O., 120. ** Es ist ein interessanter Gedanke Kerns (a. a. O., 42, Anm. 1), daß der im Mittelalter gängige Begriff der „re-formatio ecclesiae" auch das Bestreben nach der „re-formatio iuris" stütze und erkläre. ** Kern, a. a. O., 50. *• Fuhrmann,Schlußwort,a. a. O.,584. 29

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