der Erkenntnisse moderner Psychologie und Medizin darum wissen,wie klein der menschliche Freiheitsraum ist und wie stark Umweltseinflüsse und Umgebung die Handlungen des Menschen bestimmen können®^. 2. Erinnern wir uns an das Gößer Beispiel. Die Nonne Perhta erhält den Auftrag „ad reparandum" einer größtenteils vernichteten Urkunde. Hier herrschte einzig die Absicht, „das verlorene Belegstück möglichst originalgetreu zu rekonstruieren®"". Es ging keines wegs um eine Fälschung der Wahrheit. Die Herstellerin der Urkunde kam sich gewiß wie heutzutage ein Restaurator vor, der verlorene oder beschädigte Teile eines Kunstwerkes nachschafft bzw. ergänzt. Daß man nicht die geringsten Bedenken hatte, sich in einem fremden Stift ein nach unseren Begriffen formal gefälschtes Dokument herstellen zu lassen, beweist der Umstand zur Genüge, daß man diese Tatsache sogar in einer späteren vom Erzbischof bestätigten Urkunde festhielt. 3. Der heutige Mensch ist an die „Unantastbarkeit des Wortlauts"gewöhnt.Diese„Buch stabenheiligkeit ist (aber) jung, nicht älter als der Rechtspositivmus®®". Auch literarische Texte und Gesetzessammlungen wurden früher mit großer Freiheit tradiert®* und in vielen Fällen der subjektiven Überzeugung angepaßt. Kritische Textausgaben entstanden ja erst im Zeitalter des Humanismus und der Reformation. Für den Umgang mit Urkunden darf man nun keine grundsätzlich andere Einstellung erwarten. Wenn man also unsere Reichersberger Urkunde später auf den neuesten Stand brachte, so herrschte sicher nur das Bestreben vor,jene „Sorgfaltzu erreichen,die vor Vermessung der Güter noch"gefehlt hatte®®. Man hielt das gewiß nicht für eine Verfälschung, sondern eher für eine notwendige Korrektur! Mit v. Brandt sei darauf hingewiesen, daß solche Unbefangenheit gegenüber einem urkundlichen Text auch in unserer Zeit dem einfachen Menschen noch durchaus geläufig ist. Ohneweiters wird da der Personenstand, das Datum oder eine vorhandene Verschreibung selbst in amtlichen Dokumenten „berichtigt®®". 4.Im Gefolge Heinrich Brunners hat Oskar v. Mitis mit Nachdruck daraufhingewiesen, daß „dem bayrischen Volkscharakter ..., wie dem germanischen überhaupt, die Verwen dung der Schrift im Rechtsverkehr ursprünglich völlig fremd (war); erst der durch das Frankenreich vermittelte Einfluß des römischen Rechtes hat das bayrische Rechts leben mit den Elementen des Urkundenwesens.. . vertraut gemacht"®'. Galt zunächst nur die mündliche Rechtsabsprache, so gestaltete sich das Beurkundungswesen vom 10.-12. Jh. hier völlig um®®. Führen wir diesen Gedanken etwas weiter: Als sich das geschriebene Recht immer mehr durchsetzte, sah man sich genötigt, sich seinen Besitz auch schriftlich sichern zu lassen. Hiefür aber wurden Unterlagen verlangt. Waren keine vorhanden und wollte man dennoch „ein in der Zeit symbolischer Rechtsübertragung erworbenes Gut in der Zeit des schriftlichen Beweises erfolgreich verteidigen"®', so wurde man, wie die vorhin be schriebenen Mondseer Beispiele von „829" und „951" deutlich zeigen, geradezu ins Fälschen hineingedrängt, hatten doch nun eventuell vorhandene Traditionsnotizen oder mündliche "Vgl. die ähnlichen Gedanken bei Bosl, HZ 197 (1963) 558. "V.Brandt, a. a. O., 123. ®® Fuhrmann, Schlußwort in HZ 197 (1963) 589. Zu einer Änderung eines päpstlichen Dekrets durch Burchard v. Worms vgl. ebd.590. '® Classen, a. a. O., 339. '® V. Brandt, a. a. O., 121. "H.Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte II,"1928, 560. Mitis, a. a. O.,3, benützte noch die 1. Auflage. "Mitis, a. a. O.,5. "Formulierung von H.Patze, HZ 197(1963) 563. 28
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2