OÖ. Heimatblätter 1969, 23. Jahrgang, Heft 1/2

Als Ganzes aber sind die Urkunden kühne Fälschungen, die sich nicht scheuten, mehrere Lorcher Bischöfe frei zu erfinden und den zur Zeit ihrer Herstellung regierenden Papst Benedikt VII.(974—983) als Kronzeugen aufzurufen. 1854 wurden unsere Dokumente durch den damals erst 24jährigen Ernst Ludwig Dümmler als Fälschungen BischofPilgrims erkannt; Waldemar Lehr hat sie in seiner Berliner Dissertation von 1909 diplomatisch untersucht. Die seither hierzu erschienene Literatur ist Legion, erwähnt seien nur das Werk I. Zibermayrs „Noricum, Baiern und Österreich^'", das zu einem wesentlichen Teil der Lorcher Frage gewidmet ist, sowie ein Aufsatz „Zu den Urkundenfälschungen Pilgrims von Passau" aus der Feder Heinrich Fichtenaus'^, der die Auffassung vertritt, daß PUgrim seine Falsifikate eigenhändig hergestellt habe. II. Maßstäbe der Bewertung Die dargelegten Urkundenfälschungen wollen exemplarisch verstanden sein. Ähnlich gelagerte Fälle stellen das Hauptkontingent mittelalterlicher Spurien dar.Der Versuchung, sie von seiner historischen Situation her zu beurteilen, darf gerade der Historiker nicht erliegen. Er muß sich bemühen, wertfrei zu denken, d. h. offen zu sein „für anders geartetes Mensehsein,für fremde Eigenart, Gesellschaft und Kultur"". Wenn ich im folgenden versuche, einige Maßstäbe der Bewertung aufzuzeigen, so möchte ich immer wieder auf die geschilderten Beispiele zurückgreifen. Zugleich orientiere ich mich an der zum Thema erschienenen Literatur, insbesonders an der Arbeit Fritz Kerns über „Recht und Verfassung im Mittelalter"", an dem ausgezeichneten Kapitel „Staat, Recht und Verfassung"in Otto Brunners Werk „Land und Herrschaft"" und an einem Vor trag über „Die Fälschungen im Mittelalter", den Horst Fuhrmann im Oktober 1962 aufdem Deutschen Historikertag in Duisburg gehalten hat". 1. „Historiseher Sinn und historische Kenntnisse waren im Mittelalter nur sehr mangelhaft entwickelt"." Die Bereitwilligkeit, mit der man selbst sehr ungeschickte Fälschungen hinnahm, beweist das deutlich. Die „Konstantinische Schenkung" begann im Namen der heiligen und ungeteilten Dreifaltigkeit („in nomine sanctae et individuae trinitatis"), die pseudoisidorischen Dekretalen verwendeten für päpstliche Erlässe der ersten drei Jahrhunderte die Vulgata des hl. Hieronymus (f 420)'°, die Chronologie der angeführten Mondseer Urkunde von „951" muß als haarsträubend bezeichnet werden; aber niemandem fielen solche Ungeheuerlichkeiten auf. Auch an die phantastischen Berichte so vieler Heiligenviten darf in diesem Zusammenhang erinnert werden. Das Fälschen war also relativ leicht, die Gefahr des Ertapptwerdens verhältnismäßig gering. Das aber wieder war ein starker Anreiz zum Fälschen. Mit der Häufigkeit eines Deliktes kann nun dieses gewiß nicht einfach entschuldigt werden.Einen mildernden Umstand abersoUten gerade wir darinerblicken,die wiraufGrund "2. Auflage,Horn 1956. "MOÖLA 8(1964)81-100. « K. Bosl in HZ 197 (1963) 555. "F. Kern,Recht und Verfassung im Mittelalter,Basel,o.J.Das Büchlein basiert aufseinen in Mittelalterliche Studien I(Leipzig 1914)286ffund in HZ 115 (1916) 496ff „Über die mittelalterlichen Anschauungen vom Recht" dargelegten Ausführungen. "O.Brunner,Land und Herrschaft. Gnmdfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Österreichsim Mittel alter, Wien-Wiesbaden *1959, S. 111-164, vgl. bes. den Abschnitt „Die Rechtsanschauung des Mittelalters", S. 113-146. "Zusammen mit einem ausführlichen Schlußwort und mehreren Diskussionsbeiträgen abgedruckt in HZ 197 (1963) 529-601. V. Brandt, a. a. O., 121. *° Ftihrmaim, a. a. O.,531. 27

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