OÖ. Heimatblätter 1969, 23. Jahrgang, Heft 1/2

Alle Seitenstufen sind am Südende durch scharfe Felsrücksetzungen abgekapselt, die Plattformen haben aber ebenso wie jene von Block I keine solchen Widerwände. Als vor etwa achtzig Jahren der vergessene Eibenstein von Forschern neu entdeckt wurde, hielt man ihn für einen Opferstein, und dabei blieb es! Bis in die jüngste Zeit blieb man der Typenvorstellung „Opferstein" verhaftet, genau so wie sich die Geschichte in die Typenvorstellung von dem unzugänglichen und unbesiedelten,,Nordwald"verrannt hatte. Wir billigen zwar Naturvölkern künstlerische Fertigkeiten zu und erfahren von ameri kanischen Archäologen, daß z. B. das Mayavolk, welches nicht einmal Haustiere züchtete, regelrechte Städte, prächtige Steinskulpturen und großartige Tempelpyramiden zur Be obachtung der Gestirne und zur Erstellung des umfangreichsten Kalenders aller Zeiten schaffen konnte und dabei doch noch in einem steinzeitähnlichen Zustand lebte und Metall fast ausschließlich nur zu Kult- und Schmuckzwecken nutzte. Unseren eigenen Teilvorfahren dagegen traut man nichts weiter als rohe Opfersteine und untaugliche Blutschalen zu, obwohl gerade sie im Aufspüren und Verarbeiten von Bodenschätzen, im Wagenbau und als Bronze-, Eisen- und Goldschmiede anerkannte Meister waren. Nach allen Zeugnissen übertraf ihre priesterliche Führungsschichte, kam sie auch sonst dem Wunderglauben der einfachen Leute entgegen, an gelehrtem Wissen, zumal auf medizinischem und mathemati schem Gebiet, aber nicht zuletzt auch an Tiefe und Logik der Weltanschauung die altrömi schen Auguren, haruspices und pontifices. In solcher Sicht dürften wir wohl auch bei ihren Kultstätten vieles erwarten, was ihrem Wissen und ihren Aufgaben entsprach, obwohl man bei heutigen Nachforschungen sich leider von vornherein eingestehen muß, daß spätere Zeiten fast alles zerstört, abgeändert oder überbaut haben. Das mag auch für unseren Hohen Stein gelten! Daß wir es hier ursprünglich mit einer Kultanlage zu tun haben, erscheint durch die Sage,die-wie wir sahen-für den Hohen Stein viel konkretere Dinge als sonstwozu berichten weiß, einigermaßen bestätigt. Besonders der Hinweis auf die Kirche, die über dem Hohen Stein errichtet werden sollte und wegen der es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Neu-Siedlern im Mittelalter und den Vorbewohnern kam, läßt zusammen mit der günstigen Lage zwischen den alten Handelswegen zur Moldau auf eine außergewöhnliche Bedeutung des Kultplatzes schließen. Die Tradition solcher Orte vererbt sich bekanntlich nicht selten über Zeiten und Völker hinweg. Nehmen wir an, die Stufen auf dem Fels, oder wenigstens ein Teil davon, hätten in dieser oder anderer Form bereits in der Vorzeit bestanden, so müßten sich dafür wohl aus der Eigentümlichkeit der Druidenlehre Schlüsse ziehen lassen. Was diese anbelangt, so bekunden römische Gewährsleute großen Respekt vor der überaus ausgeprägten Religiosität der Kelten. Römer waren zwar nicht die scharfsinnigsten Interpreteneiner Anschauung,die von der mächtigen Druidenkaste aus unbekannten Gründen trotz Kenntnis der griechischen Schrift nur mündlich an Auserwählte vererbt wurde. Vielleicht kommen wir einem Zweck des Steines näher, wenn wir an das Orakelbrauch tum der Druiden erinnern und für den Eibenstein an eine Orakelstätte denken. Auf die Bedeutung der Kunst der Weissagung und Deutung für die angesehensten Kultstätten der Alten Welt hinzuweisen, erübrigt sich. So könnten hier aufdem Hohen Stein die Plattformen unter anderem als Streuplätze für Vögel gedient haben, um diese in Scharen anzulocken und dann den Vogelflug zu deuten oder aus der Menge der von den Vögeln über markierte Stufen und Richtungen verstreuten Körner zahlenmagische Schlüsse zu ziehen. Ähnlichen Zahlenspielen würde das Werfen von Losen oder das Verschütten von „sprechendem" 112

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