OÖ. Heimatblätter 1968, 22. Jahrgang, Heft 3/4

Die Entstehung von Adalbert Stifters Meisterno veile „Bergkristall“ Von Otto Jungmair Unter den vielen Erzählungen unseres großen österreichischen Prosadichters Adalbert Stifter gilt die Novelle „Bergkristall“ aus der Sammlung „Bunte Steine“ als die „Perle“ seiner Erzählkunst. Mit einfachsten, geringsten Mitteln in Natur- und Menschenschilderung erreicht er hier auf der Höhe seiner Kunst größte Wirkung. Wie in den meisten seiner Erzählungen finden wir auch hier drei innere Mächte als Anlaß seiner Kunst, aus denen er seine Werke gestaltet. Das Auge des Malers Adalbert Stifter, dessen Malernachlaß in der Wiener Adalbert-Stifter-Sammlung ihn auf bedeutender Höhe zeigt, erfaßt das Gegenständliche von Erscheinung und Stimmung und prägt es sich unverwischbar ein. Der Naturwissenschafter in Stifter geht den Erscheinungen auf den Grund und prüft und vertieft den Sinneseindruck. Schließlich formt der Genius des Erzählers das Erlebnis mit den einfachen Mitteln seiner Sprache zum zwingenden plastisch wirkenden Kunstwerk. Das seherische Auge seiner Phantasie befähigte ihn ja auch, über den eigenen Sinneseindruck hinaus, Landschaften und Naturstimmungen überzeugend zu schildern, welche er nie mit dem leiblichen Auge gesehen hatte: So die Landschaft des Gardasees in der Erzählung „Zwei Schwestern“, die Steppennatur der ungarischen Pußta in „Brigitta“ und besonders farbenreich die öde Weite der Wüste in „Abdias“. Über diese Dreiheit der inspirierenden inneren Mächte, aus denen Stifters Erzählungen wachsen, können wir aber bei der Meisternovelle „Bergkristall“ noch einen weiteren Blick in das Werden seiner Dichtungen tun, weil wir aus einem Erlebnisbericht des mit Stifter eng befreundeten Dachstein-Forschers Friedrich Simony über den unmittelbaren Anlaß zur Abfassung von „Bergkristall“ eingehende Kunde haben. Friedrich Simony, der Erforscher des Dachsteingebietes und Gründer des Hallstätter Museums, sowie später als Universitätsprofessor in Wien der Begründer des Geographischen Institutes der Universität Wien, war in seiner Jugend gleichzeitig mit Adalbert Stifter Hauslehrer im Hause des Staatskanzlers Metternich und dem Dichter seither in Freundschaft verbunden. Die Simony-Hütte am Dachstein erinnert an ihn, und Adalbert Stifter hat dem Freunde in seinem „Nachsommer“ in der Person des jungen Naturforschers Heinrich Drendorf ein bleibendes Denkmal gesetzt. Simony hatte als erster einige Wintertage und -nächte auf dem Hohen Dachstein verbracht und viele Motive des Gebirges als ausgezeichneter Zeichner auch im Bilde festgehalten. Im Sommer 1845 unternahm Stifter von seinem Sommeraufenthalt in Linz einen Ausflug ins Gebirge, wobei er in Gmunden und in Hallstatt Station machte und in Hallstatt auch seinen Jugendgenossen, den dort lebenden Naturforscher Simony, besuchte. Er traf den Freund nicht in seinem Heim an und ging mit seiner Gattin Amalia, da eben ein schweres Gewitter im Anzug war, zum Hallstätter Friedhof hinauf, um von dort das Naturschauspiel zu erleben. Simony war indessen von einer Gebirgswanderung in Obertraun eingelangt und schildert uns seine gefahrvolle Fahrt über den sturmgepeitschten düsteren See nach Hallstatt: „Ich und mein Begleiter, ein Hallstätter Führer, legten uns mit aller Kraft in die Ruder, da es sicher war, daß in kürzester Zeit ein Gewittersturm losbrechen werde. Das kurz vorher nur leise vernehmbare ferne Grollen wuchs zu weit hallendem Donner an und in den Klüften 3

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