OÖ. Heimatblätter 1966, 20. Jahrgang, Heft 1/2

in Anregung dmch Franz von Assisi hinausführt imd ein z. T. völlig neues Bild vom Wesensgehalt imd von der Geschichtstiefe der Krippe vermittelt. In schlichter, manchmal (wohl zum Teil verursacht durch anscheinend knapp vor dem Druck notwendig gewordene Manuskriptkürzungen, siehe die lapidare Bemerkung S. 175: „Anmerkungen 173-194 entfallen wegen Textkürzimgen") bis zum Telegrammstil vereinfachter Textierimg wird der Leser in die Grund formen der Krippe („offene" oder „Landschafts krippe" bzw. „geschlossene" oder „Kasten-", „Kapsel krippe") und in ihre Stilgattungen („Heimatkrippe", „römische", „orientalische" Krippe) eingeführt, er fährt, daß sich das Verbreitungsgebiet der holzge schnitzten Figuren, wie sie u. a. für das Salzkammergut typisch sind, von dem der stoffbekleideten im Innviertel und angrenzenden Salzburgischen abgrenzt (man könnte hier gleichermaßen auch eine Grenze zwischen der Bevorzugung der Hauskrippen imd den aus schließlich im kirchlichen Brauchtum verwendeten Krippen ziehen), sieht, wie sich neben dem gewisser maßen „gefrorenen Theater" der standortgebundenen Figuren „gehende", „laufende", d. h. mechanisch bewegte Krippe und regelrechte „Spielkrippen" entwickelten, von denen sich als liebenswürdiges Beispiel das berühmte „Steyrer Kripperl" erhalten hat, hört von den sozialen Differenzierungen in bäuerliche, bürgerliche und Adelskrippen (wobei besonders an die großartige Krippensammlung in Schloß Lamberg, Steyr, zu denken ist), wird über die Krippenverbote des ausgehenden 18. Jahrhunderts und deren Auswirkungen unterrichtet und erlebt an Hand der kundigen Führung durch den Verfasser die Meisterwerke heimischer Krippenkunst, vor allem aus der Familie Schwanthaler und der in ihrem Nach hall stehenden folgenden Generationen von ober österreichischen Volkskünstlern, für die häufig Namen imd Daten beigebracht werden. Würde diese Darstellung, die wertvolle kunst- und personengeschichtliche Ergebnisse aus der mehr als zwanzigjährigen Forschungstätigkeit des Autors vor legt, allein schon genügen, um ein so großes Buch über die oberösterreichische Krippenkunst zu recht fertigen, so bietet sie hier nur das Material, an dem O. Kästner seine weitausgreifenden Erörterungen exemplifiziert, durch die er die Krippe als den zen tralen Ausdruck eines Weltbildes erweist, das nicht nur den Bereich des einfachen Lebens des Volks menschen in allen Einzelheiten durchdringt, sondern, um ein erläuterndes Bild zu gebrauchen, auch die Oberfläche des Wassers eines tiefen Brunnens bildet, dessen Schacht, Schicht um Schicht einer zwei Jahrtausende alten Kulturentwicklung berührend, hinabführt zu den Quellbereichen antiker Mythen welt, die mit ihren Vorstellungen und „Bildern" noch in zahlreichen Motiven der heutigen Krippen kunst nachwirkt. Der Weg zu den Erkenntnissen, die das Buch er schließen soll, ist langwierig und mühsam. Kastner eröffnet ihn mit einer Untersuchung des Begriffs inhaltes des Wortes „Krippe", in dessen Urbedeutung er laut Zeugnis der indogermanischen Sprachen vorerst nicht das heute übliche Bild der „Futter krippe" sieht, sondern den Ausdruck für etwas „Ge flochtenes", „Gewundenes", das ihn zur Behandlung des Geheges, des geflochtenen Zaunes führt, der noch heute viele Krippen umgibt und so in gleicher Weise, wie dies die mittelalterlichen Meister auf den be kannten Bildern des „Paradiesgärtleins" tun, die Welt des Profanen von der des Heiligen abgrenzt. Der Weg führt weiter zur Kennzeichnung der sakralen Orte in der kultgeschichtlichen Ausdeutung des Berges, des „heiligen" Berges (hier des „Krippen berges"), auf dem sich in so vielen Mythen verschie dener Völker die Hierophanien vollziehen, und der Grotte, der Höhle, dem geheimnisvollen Zugang zum Schoß der mütterlichen Erde, in der die Geburts stätte vieler Götter, Licht- und Glaubensbringer liegt. Hier in dieser Kontaktzone zwischen der irdischen und der transzendenten Welt, die in den Krippen bald als die Grotte von Bethlehem (dieses „Haus des Brotes", in dem der Legende nach bereits die Stammutter Eva und die Amme Abrahams Zuflucht fanden und nach dem Zeugnis des hl. Hieronymus noch im 4. Jahrhundert auch die Verehrung des vorderasia tischen Fruchtbarkeitsgottes Attis stattfand), bald als verfallender Stall oder stürzende römische Tempel ruine dargestellt wird, stehen als Träger des geheim nisvollsten Geschehens die Figuren der „Heiligen Leut'": das „göttliche Kind" zwischen den „Tier ammen" Ochs und Esel, in denen der Verfasser die Repräsentation der alten Tiergötter sieht, die jung fräuliche Gottesgebärerin, deren Kult- und Dar stellungsgeschichte der Verfasser von der antiken „Felsmutter" bis zur liebevoll das Kind umsorgenden Mutter verfolgt, und der in seiner Beurteilung so schwankende hl. Nährvater Josef. Sie umflutet, dargestellt in einem glanzvoll geschriebenen Abschnitt, dessen Sprache sich stellenweise zu bemerkenswerter Schönheit steigert, die Fülle der in den heimischen Krippen nahezu unzählbaren Figuren des von Kastner so bezeichneten „inneren" Kreises, der unmittelbar dem heiligen Ereignis zugewandt ist, und des „äuße ren" Kreises, in dem die Welt des Heiligen verebbt und sich die alltägliche Welt in all ihren Arbeiten und stillen Freuden auftut. Hier tummeln sich die Hirten, vom Volk häufig mit persönlichen Namen bedacht, wie sie dem Christkind ihre Gaben bringen, hier erblickt man den triumphalen Einzug der Heili gen Drei Könige, die in sicherlich nicht zufälliger Wiederholung der Gabenspende ihre nunmehr schick salsschweren (oder ursprünglich -bewirkend gedach ten?) Präsente dem Weltheiland zu Füßen legen. Jede Figur - und das ist die besondere, von Kastner nachdrücklich hervorgehobene Eigenart der ober österreichischen Krippentradition -, sei es der „schöne Bua", der der Geburtsgrotte am nächsten steht, oder der sich an sie schmiegende „Losende Thomerl", sei es der „Urberl mit der Leinwand", der die Wiege bringende „Heidltrager", der Strohschab-, Brot-, Eier-, Butter-, Hennen- und Lamplträger, der „Lamplfanger", die den Wolf verscheuchende Gruppe des „Huß, Melack!" (benannt nach dem verhaßten französischen General Ludwigs XIV., Ezechiel de Melac), der „Blinde", der sich mühsam vorwärts tastet, und der merkwürdigerweise in gleicher Auf fassung in den sizilianischen Krippen auftretende „Kropferte", die „Nachbarn" und die „Triffelweiber",

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