OÖ. Heimatblätter 1964, 18. Jahrgang, Heft 1/2

Die Abstammung des Generals Neidhardt von Gneisenau Von Max Neweklowsky (Linz) Im heimatkundlichen Schrifttum Oberösterreichs scheint es vielfach als eme ausgemachte Tatsache zu gelten, daß der preußische Generalfeldmarschall August Wilhelm Neidhardt von Gneisenau ( 1760-1831 ), der wegen seiner großen Verdienste in den Napoleonischen Kriegen 1814 in den preußischen Grafenstand erhoben wurde, einer Familie Neidhart entstammt, die im 16. Jahrhundert das Schloß Gneisenau im westlichen Mühlviertel besaß und später, angeblich auf Grund der Gegenreformation, aus Österreich ausgewandert sein soll1. Diese Ansicht, die man zum ersten Male vor mehr als 100 Jahren in Ledeburs Adelslexikon ausgesprochen findet, ist aber irrig. Sie konnte sich sehr lange halten und ungehindert von einem Gewährsmann auf den anderen übergehen, denn über die Voreltern des Generals herrschte lange Zeit hindurch Unklarheit. Erst als in den dreißigerJahren dieses Jahrhunderts die Grafen von Sommerschenburg, Nachkommen des Generals, eingehende Nachforschungen nach seiner Abstammung anstellen ließen, ergaben sich die wahren Tatsachen. General Neidhardt von Gneisenau wurde am 27. Oktober 1760 in dem durch die Schildbürgerstreiche bekannt gewordenen Örtchen Schilda als Sohn des sächsischen Leutnants August Neithardt geboren. Dieser stammt aus ·einer protestantischen Bürgersfamilie zu Schleinz im nördlichen Thüringen, die sich dort bis auf einen Schneider Georg Neithard zurückverfolgen läßt. Da Georg Neithard schon 1614, also vor Beginn des Dreißigjährigen Krieges und der Gegenreformation in Österreich, in Schleinz bezeugt ist, kann man nicht annehmen, daß es sich bei ihm um einen protestantischen Emigranten aus Österreich handelt. Und keiner der durch vier Generationen hindurch bekannten Neithard zu Schleinz hat jemals seinem bürgerlichen Namen das Prädikat „von Gneisenau" hinzugefügt. Erst der Vater des Generals, der schon erwähnte Berufsoffizier August Neithardt, der übrigens unter mehr als einem deutschen Fürsten diente und 1802 als königlich-preußischer Bauinspektor zu Oppeln starb, nannte sich als erster „Neidhardt von Gneisenau". Von einer Verleihung dieses Namens an ihn oder einer Nobilitierung ist aber nichts bekannt, er hat sich also wohl diesen Namen selbst verliehen. Vermutlich fand er ihn in einem historischen oder genealogischen VVerk, denn 1705 war noch ein Johann~_Neithardt von Gneisenau in den Reichsgrafenstand erhoben worden. Nun kam es im prunk- und titelfreudigen 18. Jahrhundert nicht selten vor, daß sich ein Bürgerlicher aus Ehrgeiz oder Abenteuerdrang als Adeligen ausgab. Daß dies unter Offizieren besonders häufig geschah, hatte seinen Grund in der Tatsache, daß damals manche Fürsten, darunter ganz besonders Friedrich II. von Preußen, bei der Ernennung und Beförderung von Offizieren Adeligen den ausgesprochenen Vorzug vor Bürgerlichen gaben. In Kriegszeiten, wenn Mangel an Offizieren eintrat, kamen auch Abkömmlinge bürgerlicher Familien in die Offizierslaufbahn. Wenn aber nach dem Ende des Krieges die Heere auf den Friedensstand zurückgesetzt wurden, drohte vor allem den Nichtadeligen Entlassung und damit oft bittere wirtschaftliche Not. Kein Wunder, daß sie vielfach dann versuchten, durch kleine Änderungen oder Erweiterungen ihrer Namen den Anschein zu erwecken, als ob sie adeligen Familien entstammten. Dies tat nicht nur der Vater des Generals Neidhardt von Gneisenau, sondern, um nur einige 5* 67

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