OÖ. Heimatblätter 1960, 14. Jahrgang, Heft 1

Pfeffer: Mühlviertel in der Frühzeit 3. Das Mühlviertel in der Zollordnung von Raffelstetten (ujn 905) Vermittelt uns die Urkunde von 823 einen so bedeutungsvollen Einblick in die kircblicbe Organisation des Müblviertels, so ergänzt achtzig Jahre später die berühmte, um das Jahr 905 abgefaßte Zollordnung von Raffelstetten dieses Bild hinsichtlich der staatlichen Organi sation und der Handelsbeziehungen. Die Zollurkunde verzeichnet bekanntlich die Zölle, die seit dem Regierungsantritt Ludwigs des Deutschen in Baiern (826) in der Markgrafschaft des Ostlandes bzw. in deren nördlichen Grenzgrafschaft, also im Kerngebiet der heutigen Länder Ober- und Niederösterreich, in Geltung waren. Sie gibt also Zustände wieder, die in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts bestanden, in ihrer Entwicklung aber wesentlich weiter zurückreichen. Schon im Jahre 805 hatte der Markgraf des Ostlandes den Handel mit den Slawen und Awaren von Lorch aus zu überwachen; diese Überwachung bezog sich sicherlich auch auf den uralten Handelszug zwischen Oberösterreich und Böhmen, der in erster Linie der Versorgung des salzlosen Böhmen mit Salz aus den alpinen Salinen diente und für alle Perioden der Urzeit wie auch für die Römerzeit durch „Verkehrsfunde" bezeugt ist. Dieser Handelsverkehr wird sich mit der Konsolidierung der politischen Verhältnisse nach dem Abebben der Wanderbewegungen, vor allem aber nach der Eingliederung Baierns, Awariens und Böhmens in die Oberhoheit des Frankenreiches noch wesentlich verdichtet haben. Da zur Zeit der Zollversammlung das Wiener Becken — anders als in der Römerzeit — am äußersten Ostrand des Reiches lag und seine gesicherte Zugehörigkeit zur Markgrafschaft durch die ersten Einfälle der Ungarn überhaupt fraglich geworden war, ist das Land ob der Enns der wichtigste Binnen- und Außenhandelsbezirk des Ostlandes; von der Donau durch das Mühlviertel führte die östlichste, gesicherte Handelslinie des Reiches nach Böhmen. Diese Situation macht es verständlich, daß wir über den Handelsverkehr im Mühlviertel so viele Einzelheiten erfahren, sie erklärt auch, warum die Beamten- und Sachverständigen konferenz, die sich mit der Überprüfung und Neufestsetzung der Zolltarife zu befassen hatte, in das oberösterreichische Dorf Raffelstetten, den Hafen von Lorch, einberufen wurde. Von den Rechtsbestimmungen der Urkunde sind zunächst jene über ihren Geltungsbereich bemerkenswert. Als Nordgrenze der Markgrafschaft erscheint auf oberösterreichischem Bo den die silva Boemica, die alte Grenzscheide am Nordwald, die uns nach den mehr oder minder allgemein gehaltenen Zeugnissen der Antike nun zum erstenmal in aller Form als Staatsgrenze entgegentritt. Im System der Zollstationen zeichnen sich aber auch die alten Grenzen am Weinsberger Wald und an der Enns ab: an ihnen, am Übergang aus dem altbairischen Teil des Ostlandes in die „Mark", liegt an der Donau die Zollstätte Ybbs, an der via legitima, der heutigen Wiener Bundesstraße, die Zollstätte Enns. Schließlich sind in der Zollordnung mittelbar auch die wichtigsten internen Verwaltungsgrenzen Altoberöster reichs, die Haselgraben-Grenze und die Donau-Grenze, erstmals bezeugt. Wenig beachtet wurde bisher, daß die Zollurkunde auch sehr bemerkenswerte Aussagen über die Siedlungszustände macht. Auf der niederösterreichischen Strecke fehlen begreif licherweise bei der Zollstätte Ybbs Angaben über einen von hier nordwärts gehenden Han delsverkehr; der Ort liegt im unmittelbaren Bereich des noch kaum besiedelten Weinsberger Waldes. Bei Mautern wird nur die Salzausfuhr über die nahe mährische Grenze erwähnt. Ganz anders liegen die Verhältnisse im Mühlviertel. Die bairischen Händler durften, nach-

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