OÖ. Heimatblätter 1960, 14. Jahrgang, Heft 1

Pfeffer: Mühlviertel in der Frühzeit Weitersfelden) dürften wieder auf einen bescheidenen Handelsverkehr, u. a. mit Salz, weisen, der von den römischen Märkten Oberösterreichs nach dem germanischen Böhmen und Nordniederösterreich ging. Dieser Verkehr konnte sich aber nicht annähernd mit jenem der Carnuntiner Bernsteinstraße messen; eine Karte des römischen Imports im freien Germanien zeigt im Mühlviertel begreiflicherweise einen weißen Fleck. Reste römischer Wehrbauten nördlich der oberösterreichischen Donau sind bisher nicht bekannt geworden — auch dies läßt erkennen, daß das Mühlviertel ein unangefochtener Teil des römischen Hoheitsgebietes 3. Die Enns-Grenze Können wir für die Römerzeit das Weiterbestehen der alten Grenzen am Böhmerwald und Weinsberger Wald feststellen, so zeichnet sich am Ende der Römerzeit erstmals auch eine andere Landesgrenze Oberösterreichs ab: die für das Werden des Landes so bedeutungsvolle Enns-Grenze. Das östliche Ufernorikum zwischen der Enns und dem Wiener Wald lag wäh rend des sich vorbereitenden Zusammenbruches der Herrschaft Roms an der Donau im „toten Winkel" zwischen den germanischen Einfallslinien, die den Riegel des Nordwaldes im Westen und Osten umgingen und auf der einen Seite über die bairische Hochebene und die Tiroler Pässe, auf der anderen Seite durch das Wiener Becken und am Alpenostrand nach dem begehrten Italien zielten. Infolge dieser Abseitslage blieb das östliche Ufernorikum am längsten dem italischen Mutterland verbunden. Pannonien begann bereits im ausgehenden 4. Jahrhundert der vollen Souveränität Roms zu entgleiten und mußte 433 in aller Form an die Hunnen abgetreten werden. Donaurätien westlich des Lechs ging an die Alemannen verloren; die von hier aus nach Ufernorikum gerichteten Vorstöße der westgermanischen Stämme erreichten wiederholt die Ennslinie. Das allmähliche Zerbröckeln der römischen Organisation in diesen Provinzen schildert sehr anschaulich Eugippius in der Severins-Vita. Die romanischen Bewohner der Donaukastelle setzten sich immer weiter nach Osten ab, von Künzing nach Passau, von Passau nach Lorch. Doch mußte schließlich auch Lorch geräumt werden. Durch die Intervention des hl. Severin beim Rugenkönig erlangten diese Romanen in den ostnorischen Städten zwischen der Enns und dem Wienerwald eine letzte ruhige Heimstätte mit dem Recht des freien Abzugs nach Italien. Als König Odoaker diese Rück wanderung befahl, die sich wahrscheinlich über Lorch und den Pyhrn vollzog, war die letzte Bindung Ufernorikums an Rom gelöst (488). Im Auslaufen der Römerherrschaft ist der Raum zwischen den Hauptschauplätzen der großen Ereignisse, dieses „Zwischenfeld" zwischen den beiden Polen der bairischen Hochebene und des Wiener Beckens, der letzte Beharrungsraum der Romanitas an der Donau. Hier, im öst lichen Ufernorikum, wird nach dem Auseinanderbrechen der römischen Donaufront und der bisherigen politischen Einheit des Donauraums die vom Nordwald und Alpenbogen im Raum von Amstetten-St. Pölten gebildete Grenzpforte als Scheidelinie zwischen West und Ost wirksam. War die Enns zur Zeit Roms nur eine interne Militärverwaltungsgrenze (zwischen den Garnisonsbezirken der II. italischen und der I. norischen Legion) innerhalb der noch geeinigten Provinz Norikum, so tritt sie uns im 5. Jahrhundert, als Westgrenze des rugischen, als Ostgrenze des alemannischen Einflußbereichs, erstmals unter dem höheren Aspekt einer Völkerscheide entgegen.

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