OÖ. Heimatblätter 1952, 6. Jahrgang, Heft 1

Schrttttum Ausstellers zu Gunsten eines Empfängers sichern und beglaubigen. Im Bereich des bairischen Volksstammes hat die Geschichtsschreibung im Mittelalter weitaus nicht jene Pflege gefunden wie in den fränkischen und sächsischen Stammesgebieten, so daß bei uns die Urkunden als Quellen eine ungleich höhere Bedeutung haben als dort. Die Urkunden sind zwar in reicher Menge in Originalstücken auf uns gekommen, aber doch stark mit Fälschungen durchsetzt, was eine Folge der dem Mittelalter eigenen Rechtszustände ist. Die Rechtsgeschäfte des frühen und hohen Mittelalters hat man nämlich nicht immer sogleich beurkundet, sondern nur durch die Oeffentlichkeit des Abschlusses vor Gericht und Zeugen gesichert, was sehr oft später der Anlaß zur Anfertigung von vielfach nicht sachlichen, aber doch formellen Fälschungen gewesen ist. Außerdem hat der Besitz einer Urkunde deren Inhaber noch nicht die Erlangung seines Rechtes verbürgt, weil es mangels einer öffentlichen Exekutive Sache des Berechtigten war, seine Ansprüche durchzusetzen, was die Anfertigung von Fälschungen und die Verunechtung ursprünglic)'l echter Beurkundungen geradezu herausforderte. Aus diesen Ursachen sind die Urkunden des frühen und hohen Mittelalters (8. bis 13. Jahrhundert) nicht ohneweiters zur Erkenntnis des vergangenen Geschehens zu verwenden, sondern sie bedürfen einer vorhergehenden besonderen kritischen Untersuchung, die wieder eine besondere Schulung erfordert. Aus dem Studium des mittelalterlichen Urkundenwesens entstand im Laufe der Zeit eine eigene Wissenschaft, die Diplomatik. Die beiden Hauptzentren dieser Studien sind die 1827 gegründete Ecole des Chartes in Paris und das 1854 gegründete Institut für österreichische Geschichtsforschung 3) in Wien, aus dem ja auch die vorliegende Urkundenpublikation hervorgegangen ist. Schon im Mittelalter hat man die Urkunden als Geschichtsquellen verwertet, so hierzulande in besonders reichem Ausmaß die Reichersberger Chronik des Presbyters Magnus 4 ) und die Kremsmünsterer Geschichtsquellen des Mönches Berchtold 5). Die Geschichte des Urkundem:ammelns und des beginnenden Studiums derselben in Oesterreich ob und unter der Enns habe ich seiner21eit skizz:iert 2 ). Wie der Ahnherr der neuzeitlichen Urkundenforschung Jean Mabillon ein Benediktiner von Sankt Denis bei Paris (1632-1707) war, so hat auch in Oesterreich ob und unter der Enns dieses Studium zunächst im Benediktinerorden in Melk, Göttweig und Mondsee eine allerdings nicht lange anhaltende Heimstätte gefunden. Aber auch im Augustinerchorherren-Stift St. Flo,rian faßte das Interesse für gecchichtliche Studien so festen Fuß, daß dort von den Zeiten des Archivars und Bibliothekars Johann Ev. Pachl (gest. 1744) bis zum Tode des Prälaten Jodok Stülz (1872), also weit länger als ein Jahrhundert, die Geschichtswissenschaft eine in ihrer Art einmalige Pflegestätte besaß. Von hier aus hat die neuere Urkundenforschung in Oesterreich ihren Ausgang genommen. Ihr Begründer war der Chorherr Franz Kurz ( 1771 - 1843), der mit emsigem Fleiß eine solche Masse von Urkunden zur Geschichte Oesterreichs im späteren Mittelalter zusammenbrachte, daß er auf dieser Grundlage die Biographien der Habsburger des Mittelalters in einem heute noch nicht ersetzten Werk darstellen konnte. Kurz selbst hat für seine Ideen drei Männer gewonnen, die sie kräftig weiterführten, nämlich den Florianer Chorherrn Josef Chmel (1798-1858), schließlich Vicedirektor des Haus-, Hof- und Staatsarchives in Wien, Jodok Stülz (1799-1872), Prälaten von St. Florian, und Anton R. von Spaun ( 1790-1849), den letzten ständischen Syndikus und Gründer des o. ö. Landesmuseums und Begründer des Urkundenbuches. Ohne auf die in meiner obzitierten Arbeit 2 ) zui:,ammengestellten Einzelheiten hier eingehen zu ltönnen, sei nur hervorgehoben, daß in dies·em Kreise 1836 der Gedanke eines Urkundenbuches - durch Chmel - angeregt und in der Folge verwirklicht wurde, so 69

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