OÖ. Heimatblätter 1952, 6. Jahrgang, Heft 1

Oberösterreichische Heimatblätter Diplomaten, sondern von bescheidenen Praktikern, von Kaufleuten. Schneller und schmerzlicher als erstere spürt das Volk, vor allem der Kaufmann, den Wandel in Handel und Verkehr. An Stelle Schlesiens tritt (wie der Aktenlauf zeigt) Triest jahrelang ernstlich und eindringlich in den Vordergrund der Erwägungen. Maria Theresia selbst drängt wiederholt darauf, den österreichischen Handel in neue Bahnen zu lenken und wie sie sich ausdrückt „in ein System zu bringen". Aber das Gewicht des weit entlegenen, nur auf schlechten Straßen erreichbaren Triest wird schließlich doch als zu leicht befunden. Die Waage schlägt eindeutig zugunsten nicht des „levantinischen", sondern des „orientalischen" das heißt des Handelswegs auf der Donau aus. Das Handelsziel nimmt greifbare Gestalt elf Jahre nach dem für Oesterreich unglückseligen Hubertusburger Frieden an, als 1774 Katharina II. ihren ersten Türkenkrieg (1768/74) mit dem für Rußland außerordentlich glücklichen und zukunftsträchtigen Frieden von Küt'schük Kainardschi abschließt. Kütschük Kainardschi bedeutet zu deutsch „Der große Sprudel". In der Tat entspringt aus diesem Friedensschluß Rußlands Aufstieg auf der Balkanhalbinsel und Rußlands Seegeltung auf dem Schwarzen Meer ebenso, wie mit ihm der Abstieg der Türkei ,anhebt. Demonstrativ am selben Jahrestag geschlossen wie der schmähliche Frieden am Pruth, durch den sich Peter der Große drohender Gefangennahme entziehen mußte, erreichte der Friederrsvertrag von 1774, was Peter hatte aufgeben müssen: abgesehen von Landgewinn zwischen Dnjepr und Bug erstmalig freie Schiffahrt auf dem Schwarzen Meer und freie Durchfahrt für russische Handelsschiffe durch die eifrig gehüteten türkischen Meerengen. Dieser Stoß gegen die bisher luftdicht verschlossenen Dardanellen strahlt als gewaltige Sprengwirkung seine Wellen donauaufwärts fort bis Wien. Mit der Eroberung des Schwarzen Meeres, der damals ausgebreitetsten und gewinnbringendsten Handelsstraße der Welt, durch Rußland regten sich die Geister in ganz Europa, Schriftsteller und Kaufleute aller Nationen ver~ kündigten eine Revolution im Gange des Handels. Der Wiener Hof- und Staatskanzlei sowie Maria Theresia und besonders ihrem Mitregenten Joseph II. führte dieser Friedensschluß recht greifbar vor Augen, daß Wien nicht nur an dem klangvollsten (Don, Dnjepr, Dnjestr, Donau) sondern an dem größten Zufluß des Schwarzen Meeres lag. Jetzt, da Rußland das Augenmerksein e m Hauptzufluß zum Schwarzen Meer, dem Dnjepr und dessen Schiffahrt zuwandte, wurde man sich in Wien der natürlichen Abdachung bewußt, die Zentraleuropa und besonders das Gebiet der kaiserlichen Erblande einerseits und Zentralrußland ~dererseits dem Schwarzen Meere zufüh,rt, dem Mittelpunkt eines amphitheatralisch aufgebauten Handelstheaters um die Szene des Pontus Euxinus. Brauchte man doch nur der Schwerkraft zu folgen, die unseren Körper wie unser ganzes Tun gestaltet, uns alle im Leben de~ primitiven Alltags wie der Kultur mehr bestimmt und beherrscht, als wir ,ahnen, ja ohne die wir gar nicht leben könnten, um die zwei von dieser Urkraft vorgezeichneten

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