OÖ. Heimatblätter 1952, 6. Jahrgang, Heft 1

Auf den Laien übt das zehnte Kapitel „Nachwirkung" ·die• stärkste An~ ziehungskraft aus. Es geht mit glücklichem Spürsinn der Bedeutung der in Kremsmünster verbrachten Jugendjahre nach. Von den „Feldblumen" bis zum ,,Nachsommer" werden mit biographischer Ausführlichkeit Namen der Landschaften und Oertlichkeiten auf den oberösterreichischen Kreis bezogen. Blickt uns aus dem „Heidedorf", dem „Hochwald", dem „Waldgänger", dem „Witiko" u. a. die traute Böhmerwald-Heimat seiner Kindheit an, so sind andere Dichtungen, wie die „Narrenburg", ,,Der Hagestolz" und vor allem der „Nachsommer" in die geistige Heimat des erwachenden Jünglings, in den Kremsmünsterer Erlebniskreis, hineingestellt. Das vorletzte Kapitel „Adalbert Stifters Weltanschauung im Zusammenhang mit seiner Schulbildung" ist das umfangreichste und entscheidendste des ganzen Buches. Der Stifterforscher findet da in jedem Anliegen klaren ·Bescheid. Das weltanschauliche Bild des Dichters wurde bisher nach zwei Extremen hin gezeichnet. Die einen drängten in Stifter das Christliche zurück und betonten das Klassisch-,,-Humane", die anderen sahen in ihm den „essentiellen Katholiken". Der Dichter nimmt aus der Synthese von Aufklärung, Idealismus und Christentum das Taugliche heraus und läßt das Untaugliche beiseite. Josefinisch-aufgeklärter Katholizismus war der Nährboden der Jugenderziehung zur Zeit Stifters. Daher will unser Dichter das Reich des Religiösen über das Konfessionelle hinaus erweitern und gerät in eine Art aufklärerischer Vernunftreligion. Im Sanften Gesetz erscheint wie in Schillers Begriff der ,,Schönen Seele" der schroffe Kantsche Dualismus überbrückt. ,,Der Mensch soll das Sittliche wie ein Naturgesetz erfüllen ... Das Blumen- und Pflanzenhafte einzelner Gestalten Stifters aber ist der Ausdruck solcher Auffassung. Denn die Natur ist für ihn unschuldig, weil sie im ursprünglichen Zustande verblieben ist, sie hat die Einheit, die den Menschen fehlt." - Die Bedeutung der berühmten Stelle in der Einleitung zum „Abdias" (,heitere Blumenkette') .führt zu einem Höhepunkt des Buches empor. Der sonst so sparsame Autor beweist in einem längeren Zitat aus einem Vorwort zu Leibniz' ,,Theodizee", daß Stifters sittliche Bewältigung des Fatums von Leibniz, wenn auch auf dem Umwege über Herder, abhängig ist. Was in der letzten Zeit geistesgeschichtlich ertastet wurde, das wird durch die angeführte Parallele eindeutig erschlossen. Die Einwirkung von Kant wird abgegrenzt, der Einfluß Herders erst vom Beginne der 40er Jahre angenommen. Stifters Einstellung zu Religion, Natur, Sittlichkeit, Geschichte, zu Recht, Gemeinschaft, zum Staat, zu dem Schönen in der Kunst wird harmonisch in all den Bindungen zur Zeit und zu seiner erworbenen Schulbildung fesselnd betrachtet. Gerade in diesem bedeutendsten Kapitel legt Enzinger die wohlgeordnete Ernte seines mehrjährigen Sich-Versenkens in diese Probleme mit bewundernswerter Klarheit und - was -sehr hoch zu werten ist - mit strenger Objektivität vor. Dies ist eine unvergängliche Leistung, wovon noch mehr als eine· Generation zehren wird. 104

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