Bausteine zur Heimatkunde bis herauf ins 18. Jahrhundert erinnert noch an diese Zeiten, da der Seelsorger hoch zu Roß aus der weit entfernten Pfarrkirche zur Abhaltung des Gottesdienstes hierher kam 22) Daß die Lage des Gotteshauses am dünn besiedelten, schwer zugänglichen linken Ennsufer, besonders als Neustift die Seelsorge übernahm, nicht mehr ent¬ sprach, ist leicht begreiflich. Es handelte sich darum, einen geeigneten Bauplatz zu finden. Da herrschten sicher geteilte Meinungen. Aus den zwei Erzählungen wissen wir, daß drei Bau¬ plätze (beim heutigen Opplkreuz, beim Hl. Brunnen und der heutige Kirchenplatz) in Betracht gezogen wurden. Die Sagen erzählen uns von dieser Meinungsver¬ schiedenheit und lassen eine höhere Macht die Entscheidung durch ein Wunder treffen. So wurde das Großraminger Gotteshaus zu einer sogenannten Wander¬ kirche. Man versteht darunter eine solche Kirche, die ursprünglich an einem anderen Ort gebaut werden sollte. Deren Baumaterial oder ein Bild aber wurde wunder¬ samer Weise an den jetzigen Standplatz gebracht 23). In Oberösterreich sind allein 12 Wanderkirchen bekannt 24). Groß ist die Zahl im übrigen deutschen Gebiet. Wie soll man ihren Ursprung erklären? Sie müssen auf eine gemeinsame Quelle zurückgehen. Der bekannte bayrische Geschichtsforscher Fastlinger dürfte wohl das Richtige treffen, wenn er sagt: „Der Volksmund ist nicht so unzuverlässig, zumal, wenn es sich um religiöse Überlieferung handelt“. Er fährt dann mit einem Hinweis auf die Kirchenbausagen fort: „Missionäre wollten die Kirchen nicht an den heidnischen Kultstätten errichten, das Volk aber ließ nicht davon. So schuf man die heidnischen Opferplätze in kirchliche Kultstätten um“ 25). Eine Erinnerung also an den Kampf zwischen Christentum und Heidentum klingt in diesen Sagen nach. Nach Fastlinger müßte man also schließen, daß der heutige Standort der Großraminger Kirche, beziehungsweise ihre Umgebung, einst in heidnischer Zeit ein Kultort war. Das ist tatsächlich der Fall. Ja, bis heute hat sich die Erinnerung daran erhalten. Man kann dem da sehr erfahrenen Dr. Schmotzer nur beistimmen, wenn er erklärt: „Überhaupt darf man sagen, daß das Andenken an die ger¬ manischen Götter viel lebhafter im Volke erhalten ist, als das Volk selbst zugeben will. In mannigfacher Verkleidung finden wir diese Erinnerung" 26). Nun zu unserem Fall: Noch vor wenigen Jahren erzählte mir ein 80jähriger Gro߬ 22) G. Grüll, Beiträge zur Geschichte des Wahlfahrtsortes Neustift. In der Steyrer¬ zeitung. 1934, Nr. 72. 23) Deutsche Gaue Bd 12 (Kaufbeuren 1911) G. 267 f. 24) Deutsche Gaue Bd 27 (Kaufbeuren 1926) S. 8 f. 25) M. Fastlinger, Die Kirchenpatrozinien in ihrer Bedeutung für Altbayerns ältestes Kirchenwesen. In: Oberbayrisches Archiv für vaterländische Geschichte Bd 50 (München 1897) S. 343. 26) O. Schmotzer, Über den Wert unserer Volkssagen. Deutsche Heimat Ig 22 (Wien 1927) S. 84. 271
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