Lebensbilder Ein Bildnis Ami Boués im oberösterreichischen Landesmuseum Als Nachtrag zu dem Aufsatz von Wilhelm Freh sei darauf hingewiesen, daß sich in der Gemäldegalerie des Landesmuseums ein ausgezeichnetes Bildnis Ami Boués von der Hand des oberösterreichischen Malers Johann Baptist Reiter (1813— 1889) befindet. Es handelt sich um ein Bruststück, Hl auf Leinwand, im Format von 68 X 50 Zentimeter, das am rechten Bildrand die Signatur des Künstlers mit der Jahreszahl 1878 trägt*). Das Bild gibt also den großen Naturforscher im Alter von 84 Jahren wieder. Unter Verzicht auf jede genrehafte Andeutung der Umgebung ist das Porträt ganz auf die Erfassung des Menschlich - Persönlichen abgestellt. Boué sitzt oder steht vor einem einfarbig-dunkelbraunen Hintergrund, der sich nach unten zu leicht aufhellt. Das von oben einfallende Licht läßt die Formen des Antlitzes in weicher, aber entschiedener Modellierung hervortreten. Wir empfinden auf den ersten Blick: es ist das Antlitz eines bedeutenden Menschen — ein Antlitz, geprägt und geformt von intensiver geistiger Tätigkeit, aber auch durchleuchtet von der Weisheit und Güte des Alters. Die kräftig gewölbte Stirn — ebensowohl breit wie hoch — ist rings noch von lockeren Wellen grauen Haares eingefaßt. Die Nase senkt sich in leichter, charaktervoller Krümmung zum Mund ab; ihre etwas hochgezogenen Flügel scheinen von ausdrucksvoller Beweglichkeit. Der Mund, breit und gespannt, zeigt die fest aufeinandergepreßten Lippen eines Menschen, der an geistige Kon¬ zentration und scharfes Beobachten gewöhnt ist. Das sehr energisch gebaute Kinn bildet ein harmonisches Gegengewicht zu der beherrschenden Stirn. Sein besonderes Leben aber empfängt dieses Antlitz von den Augen, sehr hellen, klaren, und durchaus nicht greisenhaften Augen, deren Blick — wie aus tiefem Nachsinnen langsam über den Beschauer hinwegzugleiten scheint. Mit emportauchend besonderer künstlerischer Liebe hat der Maler die Spuren des Alters in diesem Antlitz vermerkt: die tief eingegrabenen Furchen, die sich von den Nasenflügeln zum Mund, von den Mundwinkeln zum Kinn herabziehen; die zahlreichen feinen Runzeln, welche die Augen umspielen; das Netzwerk der Falten und Fältchen auf den schlaff gewordenen Wangen. Alles in Allem: das Antlitz eines sehr geistigen Menschen; ein Antlitz, das auch dann volles menschliches Interesse wachriefe, wenn wir nichts von der Persönlichkeit und dem Lebensgang des Dargestellten wüßten. Im malerischen Gesamtwerk Johann Baptist Reiters darf unser Bildnis einen hervorragenden Platz beanspruchen. Es zeigt den Altersstil des Künstlers, der allzu kräftige Lokalfarben meidet und einer mehr einheitlichen Tonmalerei zuneigt. Auch der Pinselstrich ist gegenüber den früheren Werken breiter, lockerer, flaumiger geworden; Reiter arbeitet nunmehr mit eigentümlich stumpfen Glanz¬ lichtern, wie sie unser Bildnis auf der Stirn und dem Nasenrücken des Dar¬ gestellten zeigt. Was aber das Bildnis Boués über viele frühere Arbeiten des Künstlers hinaushebt, ist nicht so sehr die Auflockerung der rein malerischen *) Zuletzt öffentlich gezeigt in der Sonderausstellung der Gemäldegalerie „Bildnisse von der Gotik bis zur Gegenwart“ (Jänner - März 1950). 181
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