OÖ. Heimatblätter 1949, 3. Jahrgang, Heft 4

Oberösterreichische Heimatblätter Herausgegeben vom Institut für Landeskunde am o.-ö. Landesmuseum in Linz durch Dr. Franz Pfeffer Oktober-Dezember 1949 Jahrgang 3 Heft 4 Inhalt Seite Erna Blaas: Hans von Hammerstein. Ein Dichter der Natur Dr. Otto Wutzel: Oberösterreichs Denkmalpflege in der Krise der Zeit DDr. Eduard Kriechbaum: Die Wallner. Zur Biologie und Psychologie der Bewohner des Kobernauserwaldes Dr. Kurt Holter: Das Greiner Marktbuch und der Illuminator Ulrich Schreier Dr. Josef Kneidinger: Über vorgeschichtliche Spinnerei und Weberei. Funde aus dem Mühlviertel Bausteine zur Heimatkunde Dr. Ernst Burgstaller: Der Beinschlitten im Volkskundehaus der Stadt Ried i. J. 338 Dipl.-Ing. Ernst Neweklowsky: Ein Getreidetransport von Ungarn nach Linz im Jahre 1772 Herbert Jandaurek: Die Altstraßen zwischen Ebelsberg und St. Florian. 347 Otto Kampmüller: Josef Kepplinger. Ein oberösterreichischer Altarbauer 355 Lebensbilder Dr. Eduard Straßmayr: Primarius Dr. Josef Schicker. Zum Gedenken 360 Oberösterreichische Chronik 1949 366 Schrifttum Dr. Eduard Straßmayr, Dr. Franz Pfeffer, Dr. Wilhelm Freh: Heimatkund¬ liches Schrifttum über Oberösterreich 1948. Buchbesprechungen . Dr. Alfred Marks: Verzeichnis der oberösterreichischen Neuerscheinungen.... 379 Jährlich 4 Hefte Zuschriften für die Schriftleitung (Beiträge, Besprechungsstücke) an Dr. Franz Pfeffer, Linz a. D., Museumstraße 14 Zuschriften für die Verwaltung (Bezug) an die Buchdruckerei des Amtes der o.-ö. Landes¬ regierung, Linz a. D., Klosterstraße 7 Verleger und Eigentümer: Verlag des Amtes der o.-5. Landesregierung, Linz a. D., Klosterstr. 7 Herausgeber und Schriftleiter: Dr. Franz Pfeffer, Linz a. D., Museumstraße 14 Druckstöcke: Klischeeanstalt Franz Krammer, Linz a. D., Klammstraße 3 Druck: Buchdruckerei des Amtes der o.-ö. Landesregierung, Linz a. D., Klosterstraße 7

Oberösterreichische Heimatblae Heft 4 Oktober-Dezember 1949 Jahrgang 3 Hans von Hammerstein Ein Dichter der Natur Von Erna Blaas (Salzburg) Wenn der Dichter Hammerstein in seiner Selbstdarstellung „Aus dem Bilderbuche meines Lebens“ der Geschichte seiner Herkunft einen ungewöhnlich breiten Raum zuweist, so geschieht dies nicht im Zuge der Eröffnung eines adeligen Familienarchivs und ist mehr als nur die stolze Schau auf eine Ahnengalerie erlauchter Namen. „Woher ich kam und wie ich wurde“, heißt der unterstellte Titel und verrät schon, was gemeint ist: Ein Aufspüren des geheimen Lebens¬ gesetzes, das seinen Stamm regiert, ein Nachziehen von Linien, die sich in der eigenen Gestaltlichkeit wiederholen, eine Verfolgung der dichterischen Ader bis in ihren Unterlauf hinein, wo sie aus feinsten Fäden zusammengeströmt und mählich stark geworden ist. Hammerstein ist ja der rechtmäßige Erbe eines literarischen Vermächtnisses, das in seinem Blute ruht: einer der bis zur Jahrtausendschwelle zurückreichenden Vorfahren väterlicherseits nimmt selbsttätig und fördernd teil am romantischen Sammeleifer der Brüder Grimm; aus dem Urgroßelterngeschlecht mütterlicher¬ seits heben sich die gräflichen Brüder Stolberg, Christian und Friedrich Leopold, deren Namen die Tage des Göttinger Hainbundes und —in Ver¬ bindung mit Goethe — auch die klassische Geniezeit heraufbeschwören, durch dichterisches Schöpfertum hervor. Ein Stück Literaturgeschichte wird mit solchen Ahnen lebendig! „An Begabung und Stoffen gibt es Erbschaft“, sagt Hammer¬ stein im Hinblick auf dies Überkommene. Wäre das Wort vom „geborenen“ Dichter nicht schon längst geprägt und oft genug gesagt, so hätte man es im Hinblick auf Hammerstein finden müssen. Schon als Kind hatte er die traumtiefe Ahnung, das hellwache Verständnis, die schöpferische Bildkraft des Dichters zu eigen und empfand Strophen eines echten Volksliedes oder einer alten Ballade als Klang und Gestalt aus seiner innersten Welt. Als zum dichterischen Erleben in der Zeit des Reifens dann das dichterische Bilden kam, war es nur die nächste Stufe einer folgerichtigen Entwicklung; „mein gesamtes Werk, das geschriebene wie das entworfene", kann 289

Oberösterreichische Heimatblätter Hammerstein in seiner Selbstbetrachtung „Ich. Ein Spiegelbild“ berichten, „scheint mir oft nur wie das Auswachsen von Keimen, die meine Kindheit ge¬ trieben hat“ Auch die Wahl des Stoffgebietes geht bei Hammerstein auf Ahnengut zurück. So brandet Friedrich Leopold von Stolbergs echte Naturbegeisterung im Urenkel aufs neue empor und sein sprichwörtlich gewordener „Tyrannenhaß“ sprudelt noch gelegentlich durch Hammersteins Salongeplänkel eines früherschienenen Buches. Am bedeutsamsten aber durchwächst sein Werk das mächtige Mythengeflecht der alten Edda, die dem deutschen Volke erstmals durch Vermittlung des mit Über schwang verehrten Großvaters Hans Georg von Hammerstein aus den Kopen¬ hagener Urtexten zugänglich gemacht worden war. Hammersteins Weltbild entstand ohne Zweifel vor dieser übergroß geschauten Kosmogonie, seine künstlerische Grundansicht vor den erratischen Blöcken einer frühen nordischen Poetik. Erst viel später durchbrach die milde Größe des Evangeliums diesen Bann der alten Götter. Bevorzugte Stoffe wiederholen und ergänzen sich übrigens auch in Hammersteins persönlichster Entwicklung. Rittertum und Dreißigjähriger Krieg z. B. regen schon den Gymnasiasten zu poetischen Versuchen an und wenn später die großen geschichtlichen Romane dieselben Zeitfarben, nur noch reicher abgestuft und tiefer schattend zum Bilde sammeln, geschieht dies wie das Ansetzen von Jahresringen in der Eigengesetzlichkeit seines Dichtertums. Einflüsse von außen sind nur dort festzustellen, wo ein Dichter wie Eichendorf „Blut von meinem Blute“ genannt und von ihm gesagt wird, „er sprach mein ganzes Wesen aus“. Scheffel, der gelegentlich sogar „mein großer dichterischer Vorfahr" heißt, gilt wohl hauptsächlich als Lehrmeister in der Handhabung eines geschichtlichen Stoffes. In einer Verehrung, die nicht selten bis zur Apotheose emporsteigt, gedenkt Hammerstein auch je und je des großen Lebensführers Goethe, den er früh als hohen Leitstern ausersehen hatte; umso erschütternder wirkt es, die erhabene Gestalt vor den letzten, entscheidendsten Fragen schließlich doch verblassen und verlassen zu sehen. Keinem sonst ist Hammerstein verpflichtet. Er schätzt und liebt noch die Droste, Adalbert Stifter, Gottfried Keller, Wilhelm Raabe und Liliencron, soweit man sehen kann, aber die sogenannte „Moderne“ zwischen 1890 und etwa 1920, insonderheit die Wiener ästhetische Schule und was sonst noch leise tritt, ist ihm verhaßt. Rilke nennt er nur einmal und sehr nebensächlich. Unter allernächsten Zeitgenossen hat er freilich Dichter-Freunde: Paul Thun-Hohenstein z. B., Otte von Taube, Friedrich von Gagern, Richard Billinger u. a. Das Blutvolle liebt er, das Gesunde, das Kräftige. Die Handel-Mazzetti und Hans Carossa genießen seine Verehrung. Hammerstein ist Österreicher — und auch wieder nicht. Seine adelige Sippe lebt verstreut im deutschen Norden, in Hannover steht das Stammschloß der Linie Equord, deren Name „Eichenort“ bedeutet. Einen Hammerstein-Equord Wilhelm — hatte es in den Napoleonischen Kriegen nach Österreich verschlagen. 290

Blaas: Hans von Hammerstein Kinderlos, holte er sich einen der vier Söhne seines toten Bruders, jenes Generals und Sagenforschers, aus Deutschland herüber: das war Helge, unseres Dichters Vater. Auch die Mutter kam von draußen: Sophie, Gräfin Stolberg¬ Stolberg aus dem alten, oft genannten Geschlecht. Auf Schloß Sitzenthal in Niederösterreich, oberhalb Melk, wurde Hammerstein am 5. Oktober 1881 geboren. Eine sorgfältige, aber freizügige Erziehung durch den Vater, Rittmeister a. D. und Gutsbesitzer, wurde dem Jüngsten nach zwei Brüdern und einer sehr geliebten Schwester zuteil. Den ersten Unterricht genoß er an einer von der Mutter gegründeten Privatschule. Dann übernahmen Hauslehrer und Hofmeister geistlichen und weltlichen Standes seine weitere Ausbildung, bis er nach dem Tode des Vaters und dem ebenso schmerzlich empfundenen Verlust der Heimat in ein öffentliches Gymnasium in Wien und bald darauf in das von Jesuiten geleitete Knabenseminar Mariaschein in Nordböhmen eintrat. Den priesterlichen Beruf, der ihm anfangs zugedacht war, lehnte Hammersteins unbändiger Freiheitsdrang und glühender Lebenswille bei¬ zeiten ab. Schon den Abschluß seines Mittelschulstudiums vollzog er außerhalt der klösterlichen Mauern: in Brixen in Südtirol. Vor die Wahl zwischen zwei in der Familienüberlieferung verankerten Berufen gestellt — Verwaltungsbeamter oder Offizier —, entschied er sich für ersteren und bezog für das erforderliche Studium der Rechte die Universität. Marburg an der Lahn, München und Wien sahen seine fröhlichen Semester, die durch Reisen unterbrochen, aber doch gut abgeschlossen wurden. Bald schon führte den jungen Freiherrn sein neuer Beruf nach Kirchdorf an der Krems, das ihm bereits von Wanderungen her bekannt und lieb geworden war. Es sollte ihm zunächst und trotz jahrelangen Fernseins auch später zur zweiten und dauernden Heimat werden! Der Weltkrieg 1914/18 sah Hans von Hammer¬ stein als Offizier eines Dragonerregimentes der österreichisch-ungarischen Armee in Polen, Rußland und Südtirol. Zurückgekehrt, übernahm er sofort wieder sein Amt an der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf, bis er 1923 als Haupt des politischen Bezirkes Braunau am Inn selbst in leitende Stelle gelangte. Fast gleichzeitig wurde Hammerstein Präsident der „Innviertler Künstler¬ gilde“, einer bedeutsamen Vereinigung bildender Künstler, Musiker und Dichter, die das oberösterreichische Geistesleben bis 1938 weitgehend mitbestimmte. 1924 vermählte er sich mit Anna Christiane Zeleny, der Tochter eines altöster¬ reichischen höheren Offiziers; der Ehe entsprossen drei Kinder: Hans Georg, Elisabeth und Franziska. 1934 war Hammerstein als Sicherheitsdirektor in Linz, 1935 bereits als Mitglied der Bundesregierung in Wien, wo er in rascher Auf¬ einanderfolge zum Staatssekretär, Sektionschef und Justizminister ernannt wurde. Nach seinem Ausscheiden aus der Regierung blieb er noch als Bundes¬ kommissär für Kulturpropaganda bis März 1938 und nach seiner Pensionierung durch die neuen Machthaber bis zum Juli desselben Jahres in Wien. Dann aber begann der Rückzug in das heimatliche Kremstal: Hammerstein entschloß sich zur 291

Oberösterreichische Heimatblätter dauernden Niederlassung auf seinem schon zehn Jahre vorher erworbenen, nur als Sommersitz gedachten kleinen Landgut „Pernlehen“ in der Pfarre Heiligenkreuz bei Kirchdorf-Micheldorf, wo die Winter auf der Schatten¬ seite des Tales lang sind und die Kinder auf dem Schulwege im Schnee fast versanken. Einen Ausweg aus den Schwierigkeiten, die mit dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges anwuchsen, bot der zeitweilige Aufenthalt der ganzen Familie bei Verwandten auf Schloß Kirchenbirk bei Falkenau in der Tschecho¬ slowakei. Dort, im Hause der mit Baron Brand-Kopal vermählten Schwester seiner Frau fühlte sich Hammerstein besonders wohl; in ungestörter Ruhe ent¬ standen die Memoiren und umfangreiche (leider verloren gegangene) weltanschau¬ liche Abhandlungen neben dem leisen Fortströmen der Dichtung. 1943 erging auch an ihn die Einberufung zum Kriegseinsatz; er konnte diesen in der Bauabteilung des Landratsamtes in Kirchdorf mühelos abdienen und wurde schon anfangs 1944 nach einer Erkrankung ganz davon befreit. Plötzlich aber fällt der Schicksalsstein in die ohnehin schon sinkende Waagschale seines Daseins: am 12. Juli 1944 wird Hammerstein wegen eines fernen, undurchschaubaren Zusammenhangs mit dem mißglückten Attentat auf Hitler von der Gestapo ver¬ haftet, bleibt zunächst zur Verfügung derselben in der Polizeidirektion Linz, wird dann in ein sogenanntes Straferziehungslager bei Wegscheid überstellt und kommt kurz darauf in das Konzentrationslager Mauthausen, wo ihm bald das Todesurteil gesprochen wird. Die besonderen Umstände des nahe bevorstehenden Kriegsendes, nicht zuletzt die rührende Verbergungslist ähnlich gefährdeter Mit¬ häftlinge verzögern und vereiteln aber schließlich die Vollstreckung eines furcht¬ baren Befehles und drei Wochen nach dem Einmarsch der Alliierten kehrt auch Hammerstein, scheinbar gerettet, zu seiner Familie zurück. Seine von Natur aus kräftige Konstitution ist jedoch zu sehr erschüttert, um sich nochmals erholen zu können. Schwere Krankheit wirst ihn nieder, verzweifelte Stimmungen bedrängen ihn, bis er sich zum Letzten durchringt. Am 9. August 1947 beendet der Tod ein qualvolles Leiden und einen bitteren Kampf. Hammerstein, ein „letzter Ritter“, aber auch ein „letzter Dichter“ seiner Art, liegt auf dem Friedhofe in Kirchdorf an der Krems neben seinem alten Freunde, dem Pfarrer Conrad Haydvogl, begraben. Viele erinnern sich noch der hohen kräftigen Gestalt des Landedelmannes neben der ebenso hochgewachsenen des klugen Zisterziensers. Ihre innere Verbundenheit hat symbolischen Charakter. „Naturhaft, wir selbst und fromm wollen wir sein!“ Mit diesen Worten hat Hammerstein der Innviertler Künstlergilde das Motto gegeben. Was er dichtet, ist — nach seinem eigenen Bekenntnis — Natur. Er liebt, er vergöttert sie. Alle Möglichkeiten, sie zu schauen, sind in seinem Werke ausgeschöpft. Er schildert sie in romantischer Verträumtheit wie in wacher Nealistik, verklärt und nüchtern, im treibenden Wolkenschleier des Mythos wie in der exaktesten Bestands¬ aufnahme. Sie drängt schon aus der Eichendorff'schen Märchenlandschaft der „Blauen Blume“ trotz Elfentanz und Waldeszauber zu erlebter, höherer 292

Blaas: Hans von Hammerstein Wirklichkeit und trägt bereits in „Noland und Rotraut“ den unvergleich¬ lichen Schwung bestimmterer Konturen und den ganz unsäglichen Stimmungs¬ reiz genauer Farbwerte. In den Gedichten „Zwischen Traum und Tagen“ und im „Tagebuch der Natur“ erst recht ist er ihr fast aus¬ schließlich verschrieben. Sie erfüllt in Hammersteins Hauptwerk „Die Asen“, zum Mythos erhoben, eine ganze Götterwelt nach nordischem Vorbild; Erde als Werkstoff und Tummelplatz riesischer Mächte, tagscheuen Zwergvolks und alfischer Wesen steht einem Licht- und Luftraum von Asen und Wanen entgegen, woraus die elementare Grundform des Kampfes im germanischen Dasein abgeleitet wird. In den Büchern „Februar“ und „Die gelbe Mauer“ ist die Allgewaltige noch wieder anders; ihr stürmischer Atem, ihr wolkenverhangenes Dräuen, ihr sonnedurchflogenes Lächeln, ihr lockendes Werben und ahnendes Weben stehen hier geradezu in gefährlicher Übereinstimmung mit seelisch Durchlebtem. In den historischen Zeitbildern „Ritter, Tod und Teufel“ und „Mangold von Eberstein“, wie in den „Finnischen Reitern“ ist die lebendige Natur nicht nur farbiger Hintergrund und Stimmungswert, sondern geradezu mithandelndes Wesen, oft in die Gestalt eines Menschlichen übergehend. In elementarischen Bezeichnungen verrät sie sich auch sonst, sogar in Blumennamen. Wo sie ausgesperrt ist, wie im „Glassturz“, rächt sie sich durch den tollen Spuk künstlich gemachter Dinge, die auf einmal „Natur“ in sich verspüren wollen; wo sie aber konserviert werden soll, wie im verlassenen und seiner eigentlichen Seele beraubten „Schloß Rendezvous“, zerfällt sie zu Staub. Auch Leidenschaft ist Natur, gewisser als Liebe. Sie jagt, hetzt, brennt durch Hammersteins Bücher: Sturm, der nicht zu sänftigen ist, Flamme, die sich selbst verzehrt. Wo sie an echte Liebe gerät, verblaßt diese oft, verschwindet unver¬ sehens zu randnaher Gestalt wie Frowin und das Elslein im Doppel-Ritterbuch oder die Angesprochene im Schlüsselroman der „Gelben Mauer“; selten, daß ihr Eine so rein widersteht wie das Waldmädchen in „Wald“ oder die charakterfeste nordische „Walpurga“. Zuweilen sinkt sie sogar gefährlich ab zu Lotter¬ haftigkeit, ja, zu Verderbtheit; nicht immer entgeht Hammerstein der Verlockung einer erotischen Sumpfwelt. Manche solche Wende wird als Schlacke empfunden, die das Werk beeinträchtigen könnte, wäre es nicht mit solcher Kunst gestaltet! Es ist die Getriebenheit der sinnlichen Menschen-Natur, die in solchen Szenen ihren entsprechenden Ausdruck findet. Geschichte ist nicht nur Niederschlag eines geistigen und kulturellen, sondern auch persönlichen Lebens und Spiegelbild eines natürlichen Ablaufes. Am besten ist dies an den Übergängen zu erkennen, an den Erscheinungen der Zwischenzeiten, etwa, wo germanisches Heidentum vom einströmenden Christentum verdrängt wird, wo sich Schicksal der Grenze zwischen deutschem Westen und hunnischem Osten erfüllt, wo Rittertum im Aufblühen der Städte seinen Abstieg vollzieht, wo ein Dreißigjähriger Krieg in einem Westfälischen Frieden seine Daseinsberechtigung einbüßt. Solche historische Dämmerzeiten sind es auch, die 293

Oberösterreichische Heimatblätter Hammerstein bevorzugt. Von ihnen ist Lebensgesetzliches zu erfahren, an ihnen wird der physische Prozeß des Alterns und Vergehens, des Werdens und Ver¬ jüngtseins sichtbar; bedrohte Daseinsformen zeigen neue, ungewohnte Erregtheit, stehen stündlich in Verteidigung; aufsteigende Entwicklungen beanspruchen über¬ wache Aufmerksamkeit, sind zu ständiger Herausforderung geneigt. Machtgruppen, Sinnesarten, Lebensformen und Ausdruckskräfte stehen einander schroffer gegen¬ über als in Zeiten des Gleichmaßes und bedingen handelndes Geschehen, kämpferische Auseinandersetzung, weithin tragende Entscheidung. Niemals ist Geschichte lebensvoller als in solchen Zeitwenden. Hammerstein eratmet ihren fernhin verflüchtigten Lebenshauch; Blutwärme strömt er zurück: und das Ver¬ gangene hat berauschende Gegenwart. Hammersteins historischer Sinn stammt aus einer tiefen, inneren Verflechtung seines eigenen Lebens mit dem seines Volkes, dessen geschichtliche Vergangenheit er zu seiner persönlichen macht. Mittler hiezu sind die Ahnen. Ihre Spur geht durch die Jahrhunderte und trifft überall mit den großen völkischen Ereig¬ nissen zusammen; dort ein Hammerstein, da ein Stolberg: so stapfen sie, schwer geschient oder barock aufgeplustert, im Reiterküraß der Napoleonischen Armee oder im schlichten Biedermeierrock des niederösterreichischen Landadels, vom Jahre 1000 herauf bis in die eigene, kräftig angeschlossene Lebenszeit. Sie sind für ihn Marksteine der allgemeinen Geschichte, sichtbare Vertreter des ganzen Volkes. Aus seiner Ahnenverehrung heraus wird Hammersteins Vorliebe für die Geschichte ebenso verständlich wie sein mythisches Vermächtnis, in dem er die überlebensgroßen Gestalten der Vorfahren gewaltigen Naturvorgängen zuordnet und in ein ahnungsvolles Zwischenreich versetzt. Sie walten für ihn nicht nur als Götter im dichterisch gestalteten Luftraum der „Asen"; mitten im Walde, auf den Gipfeln der Berge, im winterlichen Sturm erwartet er sie — solche — persönlich, schon als Kind und oft als Mann. In seinem Blute fühlt er ihren Braus, in sein Schicksal weiß er sie gestellt, aber in ein höheres Innen, in seine eigentliche Geist-Welt gelangen sie nicht mehr, wenigstens später nicht, im reifen Jahr; da begegnet er dem „Meister", von dem Glanz ausstrahlt über allen Glanz, — da bekennt er sich als Christ. Der Kreis beginnt sich zu schließen. Der Bogen wölbt sich, wie von einer einzigen Linie gezogen, dem Ausgang zu. Das gesamte dichterische Werk Hans von Hammersteins wird von fast ebenso zahlreichen, wenn auch nicht so umfangreichen Schriften begleitet, die seine allgemeinen Ansichten über Weltanschauliches und Kulturelles, über Kunst und Künstler, Dichtung und Dichter vermitteln, aber auch seine jeweils besondere Stellungnahme zu Erscheinungen des Kunstlebens und der schönen Literatur nicht verhehlen; ihnen ist seine Einschätzung der volkstümlichen, klassischen, romantischen und zeitgenössischen Dichtung zu entnehmen. Was er dort als Gesetz oder doch als Richtlinie verstanden wissen will, ist seinem eigenen Werke zugrunde gelegt. Wie viel hat es z. B. für die Beurteilung Hammersteins selbst zu bedeuten, wenn 294

Blaas: Hans von Hammerstein wir im Jahrbuch der Innviertler Künstlergilde von 1931 lesen: „Die Kunst ist noch tausendfältiger als die Natur“ oder „Wir sehen in ihr das höhere, das wesent¬ liche Leben, ein Religiöses, das mit der Religion den Mut und die Kraft des Bekenntnisses und die Richtung auf das Göttliche gemein hat! Diese hohe Auffassung läßt Hammerstein auch mit gewissenhaftester Sorgfalt und äußerster Genauigkeit an sein Werk herantreten. Oft ist es nur ein Wort, dessen Auswechslung ihm keine Ruhe läßt. Wo ihm kein ganz sicher geprägtes zur Verfügung steht, bildet er es selbst. Seine sprachschöpferische Begabung ist verblüffend. Seine Sprache ist von einer Dichtheit und farbigen Berauschtheit, einem glanzvollen Reichtum und einer seltenen Wortgewalt. Zur Charakterisierung und zeit- oder ortsnahen Untermalung verwendet er gelegentlich das alte maxi¬ milianische Kanzleideutsch ebenso gut wie die jenensische Gaunersprache des „Rot¬ welsch“, den Münchner Dialekt ebenso gewandt wie die schwäbische Mundart. Seine Darstellung ist das Lebendigste, was sich denken läßt. Mit beiden Füßen springt er in die Handlung — und schon läuft das Geschehen drängend und unaufhaltsam weiter bis zu seiner endgültig abschließenden, wirklich „finis“ setzenden, letzten Gebärde. Seine Gestaltung stammt aus echter Menschenkenntnis, aus Wohlwollen und Mitgefühl, aus heiter- überlegenem Verständnis für die kleine menschliche Schwäche, aus zorniger Abwehr des Verkehrten, aus Begeisterung für das Edle, aus Entflammtheit für das Schöne. So ist durch ein Menschenalter hin in Oberösterreich das Werk entstanden, das den Dichter überlebt und zugleich lebendig erhält. In seinen Büchern atmet dieses Land, ihm hat er den sonntäglichen Spiegel liebevoll entgegengehalten. Überall begegnet es noch seinen Spuren: hier bewahrt es sein kleines Haus im nachmittägigen Bergschatten und abendlichen Fallwind, dort durchwächst es immer wieder mit frischen, jungen Knospen das schmiedeeiserne Gerank eines bäuerlich¬ barocken Kreuzes. Bibliographie Dichtungen Die blaue Blume. Ein romantisches Märchen. Regensburg 1911. Roland und Rotraut. Ein Märchenroman. Leipzig 1913. Februar. Roman. Leipzig 1916. Walpurga. Eine deutsche Legende. Leipzig 1917. Zwischen Traum und Tagen. Lieder, Bilder und Balladen. München 1919. Schloß Rendezvous. Eine herbstliche Rokokogeschichte in Versen. München 1919. Der Glassturz. Ein Salonmärchen. München 1919. Das Tagebuch der Natur. Gedichte. München 1920. Nitter, Tod und Teufel. Ein Bilderbuch aus dem 16. Jahrhundert. Leipzig 1921. Mangold von Eberstein. Des Bilderbuches „Ritter, Tod und Teufel“ anderer Teil. Leipzig 1922. Wald. Eine Erzählung. Leipzig 1923. Neubearbeitung: Wien 1937. Die Ungarn. Eine Novelle. München 1925. Die Asen. Eine Dichtung. Leipzig 1928. Die schöne Akeley. Märchen. Linz 1930. 295

Oberösterreichische Heimatblätter Die finnischen Reiter. Noman vom Ende des Dreißigjährigen Krieges. Leipzig 1933. Neuauf¬ lage: Linz — Wien — München 1948. Der Wanderer im Abend. Gedichte. Wien 1935. Frauenschuh und andere Märchen. Wien 1936. Die gelbe Mauer. Urkunde einer Leidenschaft. Wien 1936. Schriften 1. Kulturpolitik Österreichs kulturelles Antlitz. Eine Rede. Herausgegeben vom Bundeskommissariat für Heimat dienst. Wien 1935. Geleitwort zu „Trachten der Alpenländer“. Wien — Leipzig — Zürich 1935. Das Buch an der Zeitwende. Festrede zur 25 Jahr-Feier der Wiener Bibliophilen Gesellschaft, gehalten am 17. April 1937 im Rittersaal des niederösterreichischen Landhauses. Wien 1937. Das Bekenntnis Hans Freiherrn v. Hammersteins. Aus dem Nachlaß des österreichischen Dichters. In: Die Furche Nr. 34 vom 30. 8. 1947. 2. Kunst Die Kunst und unsere Zeit. In: Der Wächter. Graz 192 Die Innviertler Künstlergilde. In: Heimatgaue, Ig 9 (1928), S. 202—206. Alfred Kubin. In: Jahrbuch der Innviertler Künstlergilde 1930. Die Stadt Braunau am Inn und ihr Maler Hugo von Preen. In: Jahrbuch der Innviertler Künstlergilde 1931. Walter Ziegler. In: Jahrbuch der Innviertler Künstlergilde 1933. Richard Puchner. Zum 50. Geburtstag. Linzer Volksblatt 1933, Nr. 70. 3. Dichtung Li tai pe. Nach einem Vortrag, gehalten im Linzer Eichendorff-Bund am 16. November 1920. In: Linzer Tages-Post vom 21. 11. 1920. Gedichte und Dichter. In: Linzer Tages-Post vom 31. 5. 1925. Joseph Viktor von Scheffel. Eine Ehrenrettung zu seinem 100. Geburtstag. In: Der Wächter. Graz 1926. Ein Bauerndichter — Richard Billinger. In: Der Wächter. Graz 1927. Erlebnis und Persönlichkeit. Gedenkrede zur Goethe-Feier des Landes Oberösterreich in der Landeshauptstadt Linz a. d. Donau, gehalten am 12. März 1932. Linz 1932. 4. Selbstdarstellungen Aus dem Bilderbuche meines Lebens. Woher ich kam und wie ich wurde. In: Jahrbuch der Innviertler Künstlergilde 1927. Ich. Ein Spiegelbild. In: Der Wächter. Graz 1920. Hans Freiherr von Hammerstein. In: Eine Weihnachtsgabe. Selbstbildnisse deutscher Dichter. Leipzig 1924. 5. Landschaft. Das obere Innviertel. Erfahrungen und Betrachtungen. In: Oberösterreich. Ein Heimatbuch für Schule und Haus. Herausgegeben von Franz Berger. Wien 1925. S. 192—203. Das obere Innviertel. In: Oberösterreichische Tageszeitung Linz 1925, Nr. 40/41. Sonntag in Oberösterreich. In: Oberösterreich, 2. Ig, H. 1 (Linz 1935). S. 19—37. 296

Wutzel: Oberösterreichs Denkmalpflege in der Krise der Zeit Oberösterreichs Denkmalpflege in der Krise der Zeit Von Dr. Otto Wutzel (Linz) Kunst, das ist ein heiliger Hain im Leben der Völker. Geist und Seele der Zeiten offenbaren sich in ihr. Der Künstler schafft sein Werk aus sich als Einzelner und als Sprecher einer Gemeinschaft. Seine Mitbrüder prüfen es, verdammen es oder schließen ihr Herz dafür auf. Spätere Geschlechter nehmen die Verpflichtung auf sich, das für gültig empfundene Kunstwerk als Erbe und Vermächtnis zu erhalten. Liegt diese ewige Wechselwirkung von Geben, Nehmen und Erhalten bei Dichtkunst und Musik mehr im Geistigen, so treten die Bildenden Künste offen zu Tage. Bauwerke, Plastiken und Gemälde sprechen zum Auge, formen das sichtbare Antlitz einer Landschaft mit. Für das öffentliche Leben sind sie deshalb von besonderer Bedeutung. Staats- und Volksinteresse greifen mit voller Berechtigung und natürlichem inneren Antrieb in ihre Bereiche ein. Von der Antike an gab es so neben der schaffenden Ausübung der Kunst immer eine Pflege ihrer Werke, eine Denkmalpflege. Es ließe sich eine geschichts¬ philosophische Abhandlung über die geistige Entwicklung des Abendlandes er¬ denken, wollte man die allmähliche Ausbildung dieses Begriffes in allen Einzel¬ heiten verfolgen. Nur so viel sei hier festgestellt: Bis in das 19. Jahrhundert stand die Bildende Kunst über der Denkmalpflege, ihre inneren Gesetze gaben den Ton an, der Künstler zerschlug Altes ungestraft, wenn es sein Genius forderte. Seit ungefähr hundert Jahren sind aber „Kunstwert“ und „Denkmalwert“ gleich¬ berechtigt. Die Frage nach den Gründen führt zu unerschöpflichen Erörterungen. Vielleicht liegt der Schlüssel in dem Schlagwort „Historismus“. Das historische Denken hat tatsächlich im vorigen Jahrhundert einen einmaligen Höhepunkt er¬ klommen. Doch dürfte Sedlmayr in seinem bedeutenden Buch „Verlust der Mitte" einen besseren Weg der Erklärung weisen, wenn er vorführt, wie heute die großen Aufgaben der Kunst verloren gegangen sind, wie nichts Großes geschaffen werden kann, da immer noch ein neuer Inhalt fehlt, der die Menschen bewegen könnte. Wo das Neue versagt, muß wenigstens das Alte erhalten bleiben, um die Welt nicht ganz verarmen zu lassen. In glänzender Darstellung hat um die Jahrhundertwende der Linzer Kunst¬ historiker Alois Riegl die Entwicklungslinie der Denkmalpflege gezeichnet*) *) Diese Arbeit fußt im wesentlichen auf wertvollen schriftlichen Anregungen, die Herr Dr. Erwin Hainisch dem Verfasser in einem Brief vom 8. Juni 1948 mitteilte. Es sei ihm dafür an dieser Stelle herzlich gedankt. Das Bundesdenkmalamt Linz stellte bereitwilligst alle gewünschten Amtsakten zur Verfügung, wofür Herrn Dr. Franz Juraschek ebenfalls der beste Dank ausgesprochen sei. Die denkmalpflegerischen Angaben im Text sind durchwegs diesen Aklen entnommen, die man nach Ortschaften gegliedert auffinden kann. *) A. Riegl, Der moderne Denkmalkultus. Sein Wesen und seine Entstehung (Wien 1903). Diese vorzügliche Abhandlung hat dem Verfasser dieses Aufsatzes wertvolle Kenntnisse vermittelt. 297

Oberösterreichische Heimatblätter gewollter Denkmalwert historischer Wert (Erinnerungswert) Alterswert (Entwicklungswert). Er meinte damit den mühsamen Weg von dem bloßen Schutz der Ruhmessäulen für politisch gegenständliche Heldenpersonen und Heldentaten, der Kultstätten religiös lebendiger Göttergestalten bei Griechen und Römern über die Begeisterung der italienischen Renaissance für die Antike, der erst um 1800 die übrigen germano-romanischen Völker mit ihrer romantischen Liebe zu den Zeugen der eigenen Vergangenheit folgten, bis zu der Achtung vor allem Gewordenen, die im 19. Jahrhundert den Menschen von der Geschichte gelehrt worden ist. Stützt man sich im Gegensatz zum Kulturhistoriker auf den Juristen, auf Wilfried Kirsch 2), so erfährt man, wie die Gesetzgebung sich seit Maria Theresia mit Edikten und Dekreten über Kunstschutz zu beschäftigen begann, wie am 31. Dezember 1850 die „Zentralkommission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale“ errichtet wurde, die mit 18. Juli 1873 ein verbessertes Statut erhielt und auf „Zentralkommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale“ umbenannt wurde, wie schließlich nach vielen Vorberatungen und Vorversuchen mit 25. September 1923 das heute noch gültige Denkmalschutz¬ gesetz geschaffen worden ist. Beziehen wir diese Entwicklungslinie auf Oberöster reich, so läßt sich der Beginn einer eigentlichen Denkmalpflege in unserem Lande mit der Begründung des Diözesankunstvereines zeitlich festlegen. Seine Statuten wurden wohl erst am 19. März 1859 genehmigt, seit 1850 waren aber schon wertvolle Bemühungen um ihn im Gange 3). P. Florian Wimmer muß als be¬ deutendste Persönlichkeit dieses Zeitabschnittes herausgestellt werden. Sein völlig selbständiges Wirken für die Kunstgeschichte und die Denkmalpflege im Lande war bahnbrechend 4). Jahrzehnte sind seitdem verstrichen. Manches konnte erreicht werden. Trotz Gesetzgebung, Behördenorganisation und öffentlicher Anteilnahme müssen wir aber die niederdrückende Feststellung treffen, daß die günstige Stunde für die Rettung wichtiger Kunstwerte unserer Heimat längst abgelaufen ist, daß überhaupt für die gesamte Denkmalpflege im Lande die Uhr auf Mitternacht rückt. Tiefgreifende Ur¬ sachen müssen daran Schuld tragen. Allgemeine Tagesfragen unserer verworrenen Zeit scheinen darin mitverwickelt zu sein. Hier soll versucht werden, die Zusammen¬ hänge in großen, die Überfülle des Stoffes verständlich machenden Linien anzu¬ deuten. 2) W. Kirsch, Denkmalschutz. Kommentierte Ausgabe der Gesetze und Verordnungen auf dem Gebiete des Denkmalschutzes. (Wien 1937). Siehe dazu auch O. Demus, Die österreichische Denkmalpflege in: 100 Jahre Unterrichtsministerium 1848—1948, Festschrift des Bundes ministeriums für Unterricht in Wien (Wien 1948). 3) Siehe Christliche Kunstblätter 1929 (Ig 70), vor allem S. 33 ff: Die Festrede des Herrn Prälaten Hofrat Dr. Johann Zöchbaur bei der Jubelfestfeier des Diözesankunstvereines anläßlich seines 70 jährigen Bestandes, gehalten im Priesterseminare am 11. Dezember 1928. *) Christliche Kunstblätter 1890 und 1891. Nekrolog für den verstorbenen P. Florian Wimmer. 298

Wutzel: Oberösterreichs Denkmalpflege in der Krise der Zeit Das Kunstdenkmal als soziologische Erscheinungsform Die trostlosen Trümmer der Seisenburg sollen uns zur Mahnung und Belehrung dienen 5). Eine Lage in schöner Landschaft, eine reiche geschichtliche Vergangenheit und formvolle außen- und innenarchitektonische Einzelheiten haben diesem Bau seine künstlerische Bedeutung für das Land verliehen. Seine größten Werte waren: die gesamte Baugestalt, ein Renaissancebrunnen im Hof und ein auffallend stuckierter Wappensaal. Seit 1944 ist das Schloß eine Ruine. Der amt¬ liche Bericht vom 8. 6. 1944 lautet: „Durch den Turmeinsturz wurde die Nord¬ West-Ecke des Hauptgebäudes weggerissen und die Außenwände der Verbindungs¬ zimmer zwischen großem Saal und Turm bis zum ersten Stock zum Absturz ge¬ bracht. Die anschließende Westmauer hat sich ebenfalls bis auf 5 cm vom Gebäude losgerissen. Nächstgefährdet erscheint die Süd-Ost-Ecke, wo ein Einsturz ebenfalls im Bereiche der Möglichkeit steht.“ Wie konnte es zu diesem Unglück kommen? Wie ist es überhaupt im Zeitalter der öffentlichen Denkmalpflege erklärlich? Eine Pol¬ heimerburg verfallen! Schon im Jahre 1929 kamen die ersten mahnenden Rufe treuer Heimat freunde nach Linz. Eine amtliche Begehung konnte aber nur mehr feststellen, daß wenig Hoffnung auf Rettung des Schlosses bestünde, daß starke Bauschäden, Risse im Mauerwerk und völlige Durchlöcherung des Daches einen Wiederherstellungs¬ betrag von mindestens 100.000 S bedingen würden. Diese Summe stand zu den Mitteln, die damals die Denkmalpflege zur Verfügung hatte, in keinem Verhält¬ nis. Nicht einmal bauzeichnerische und lichtbildnerische Aufnahmen konnten erreicht werden. Wenige Jahre später, 1935, war das Schloß vollends ein zerbröckelnder, sterbender Körper. Herrenlos lag es einer wilden Plünderung preisgegeben. Archiv und Bibliothek, Säle und Kapelle standen Wetterunbilden und unverständigen Sammlern von „Reiseandenken“ offen. Der neue Besitzer, der in Innsbruck einem kargen Broterwerb nachgehen mußte, gab die Zustimmung zum Abverkauf von Türstöcken und Türrahmen an einen Antiquitätenhändler. Der Erhaltungswille konnte sich allein auf die Wappensteine im Hof, auf den Renaissancebrunnen, auf den Wappensaal und die Archivreste beschränken. Der Plan des Malers Aloys Walch, in dem alten Gemäuer eine Sommerschule für christliche Kunst zu errichten, war zum Scheitern verurteilt. Grundlegender Wandel hätte nur durch die Über¬ gabe des Schlosses an einen geldkräftigen Mäzen geschaffen werden können. So wurde auch an den Industriellen Hatschek als Käufer gedacht, ohne daß dieser Gedanke verwirklicht wurde. Erwin Hainisch schlug die Vermietung an das Militär¬ árar vor, das im Talkessel beim Schloß einen vorzüglichen Schießplatz zur Ver¬ fügung gefunden hätte. Anders und neu wurde die Lage, als das Gut 1936 einen Besitzer erhielt, der sich wieder fester um die Wirtschaft kümmern wollte. Von Anfang erklärte er aber, daß er an eine Erneuerung des Schlosses nur dächte, wenn Bund und Gemeinde 5) F. Sekker, Burgen und Schlösser, Städte und Klöster Oberösterreichs (Linz 1925), S. 256 ff. 299

Oberösterreichische Heimatblätter dazu beitrügen. Sein Plan war brauchbar, er schlug vor, ihm einen zweijährigen Steuernachlaß zu gewähren; die ersparte Steuersumme sollte einem Verein über¬ wiesen werden, der die Rettungsarbeiten hätte leiten müssen. Das Unternehmen gedieh nur bis zu einem „Vorschlag über einen Verein zur Erhaltung des Schlosses Seisenburg“. Was half es, daß 1941 die Post nochmals Kaufabsichten trug, daß 1944 endlich 11.000 Stück Schindel bereit lagen? Von der Seisenburg sind heute nur mehr ein dickes Aktenbündel und eine traurige Erinnerung verblieben. Nicht die verantwortlichen Personen, nicht die verschiedenen Besitzer des Schlosses tragen die Schuld daran. Der einzig zutreffenden Erklärung, die auch für alle ähnlichen Fälle gilt, gab Erwin Hainisch folgenden Ausdruck: „Es ist dieser Fall einer jener sehr bedauerlichen, in denen die verhängnisvollen Auswirkungen der völligen Ver¬ armung des Großgrundbesitzes und des Fehlens auch nur annähernd ausreichender staatlicher Mittel für Denkmalpflegearbeiten auf den Kulturbesitz unseres Vater¬ landes deutlich zu Tage treten. Wenn die Erkenntnis nicht in absehbarer durchdringt, daß das fast völlige Streichen der öffentlichen Mittel, die für die Er¬ haltung des Kunst- und Kulturbesitzes aufgewendet werden müssen, ein verhäng¬ nisvolles Zehren an wichtigen Teilen des Volksvermögens darstellt, befürchte ich sehr, daß in wenigen Jahrzehnten auch Baudenkmale von noch größerer Bedeutung unrettbar verfallen werden. Die Denkmalpflege ist also auch ein soziologisches Problem. Das Antlitz der mitteleuropäischen Gesellschaft hat seit der achtundvierziger Revolution völlig neue Züge erhalten. Die alten Säulen, die durch Jahrhunderte den Staat getragen haben, sind eingestürzt. Kirche und Adel haben ihre Rollen im Wirtschaftsleben weitgehend ausgespielt. Sie scheiden auch immer mehr als entscheidende Auftrag¬ geber der schönen Künste aus. Mit ihnen sind ihre Werke, die sie einstmals zu ihren Zwecken errichten ließen, „veraltet“. Diese gleichen heute Bettlern in einem Fest¬ kleid, das verblichen und zerschlissen ist. Wie Lebewesen scheinen sich die alten Bauten ihrer Not zu schämen. Wohl mag noch der ursprüngliche Besitzer leben. Dann ist er aber meist ver¬ armt und kann die Kunstwerte seines Geschlechts nicht halten. Oder der Bau hat seinen letzten Verwendungszweck verloren, steht öde und leer und blickt mit blinden Fensterscheiben auf die Landstraße. Vielleicht hat auch ein neuer Besitzer zum un¬ geeigneten Kauf sich hinreißen lassen oder ist zur Übernahme gezwungen worden, wie manchmal eine kleine Pfarre die alte Stiftskirche in ihrer Gemeindemark be¬ treuen muß, wie der Bund mit Land und Gemeinden viele Bauten zu beschützen hat, die tote Näume für ihn sind. In diese große Gruppe „überlebter“ Kunstwerte sind einzureihen: die aufge¬ lassenen Klostergebäude mit ihren prunkvollen Klosterkirchen; die unscheinbaren, aber meist kostbaren Filialkirchen; die Schlösser; die Ruinen mittelalterlicher Burgen und die Wehranlagen alter Städte. An diese Denkmälergruppe ist das neue, im Zeichen eines soziologischen Um¬ schmelzungsprozesses stehende Jahrhundert mit harter Faust herangetreten. Es 300

Wutzel: Oberösterreichs Denkmalpflege in der Krise der Zeit packt sie, wie es die Menschen gepackt hat. Wohin die Entwicklung führen soll, ist heute noch nicht zu sagen. Man kann nur hoffen, daß die dunklen Prophezei¬ ungen pessimistischer Betrachter nicht Wirklichkeit werden. Es ist richtig, daß jene Kunstwerte einst aus praktischen Bedürfnissen ent¬ standen sind, denen sich ein edler Schmuckdrang und Schönheitssinn zugesellt hatten. Heute bedeuten sie aber über die praktische Bestimmung und über den ästhetischen Auftrag hinaus heimatbezogene Gefühlswerte, die das Leben jedes einzelnen bereichern. Sie bestimmen wesentlich das jetzige Landschaftsbild, sie formen unser Heimatbewußtsein. Deshalb ringt die Denkmalpflege so sehr um ihren Bestand, obwohl dieses Ringen vorläufig oft einer bitteren Sisyphosarbeit gleicht. Ziel der Bemühungen muß es sein, diesen Kunstdenkmälern wieder einen praktischen Sinn zu geben, neue Träger für sie zu finden, die mit Liebe pflegen, was von altersher geschaffen worden ist, die aber auch mit dem Denkmal als gegenständlicher Gegebenheit im gegenwärtigen Alltag etwas anzufangen wissen. Gerade im Kunstraum Oberösterreich ist in dieser Richtung ein schönes Bei¬ spiel anzuführen; Leben, Sterben und neues Leben der Abtei Engelszell im einsamen Donautal 6). Wilhering und Engelszell stehen im geschichtlichen Werden wie in der künst¬ lerischen Gestaltung ihrer Klosterkirchen und Klostergebäude in engster Verbindung. Nur hatte Engelszell in seiner Abgeschiedenheit immer ein härteres Los zu tragen. Oft drohte ihm völliger Verfall. Ein verheerender Brand zu Ausgang des 17. Jahrhunderts raubte den Mönchen Obdach und Gotteshaus. Wenige Jahr¬ zehnte später fand sich aber wieder ein tatkräftiger Abt, Leopold II. Reichl, der Klosterzucht und Klosterbau neu erstehen ließ. Ihm ist die barocke Gestalt dieses Zisterzienserstiftes zu danken, die heute jeden Besucher entzückt. Denken wir doch nur an die lebensvollen Statuen des Johann Georg Übelherr und an das in Farben überschäumende Deckenfresko des Bartolomeo Altomonte an der Vierungs¬ kuppel und der Decke des Presbyteriums! Die josefinischen Kirchenreformen schufen auch hier eine Lage, die, wie in allen aufgelassenen Klöstern Österreichs, bis heute empfindlich nachwirkt. Die alten Träger mönchischer Kultur wurden damals aus ihren Häusern verwiesen oder zumindest ihrer wirtschaftlichen Daseinsmöglichkeit beraubt, so in Engelszell am 6. Dezember 1786. Eine neue, wirklich befriedigende Verwertung des plötzlich herrenlosen Erbes gelang aber nicht. Porzellanmanufaktur und adelige Besitzer lösten einander ab, bis endlich im Jahre 1925 wieder eine Ordensgemeinschaft, die der Trappisten, in das alte Klostergebäude als junger Besitzer einziehen konnte. Ein seltener Glücks¬ fall! Damit waren Kirche und Kloster ihrem ursprünglichen Verwendungszweck *) Kunstgeschichtlich stammt die beste Arbeit über Engelszell von N. Guby, Die Stiftskirchen zu Wilhering und Engelszell, Jahrbuch des Kunsthistorischen Institutes Ig 12. Zur Geschichte siehe O. Schmid, Übersichtliche Geschichte des aufgehobenen Cistercienserstiftes Engelszell in Ober¬ österreich, Studien aus dem Benediktiner- und Zisterzienserorden Ig 5 und 6. Über die Aufhebung R. Hittmair, Der Josefinische Klosterturm im Lande ob der Enns (Freiburg im Breisgau 1907), G. 394 ff. 301

Oberösterreichische Heimatblätter zurückgegeben. Neue Gefahr drohte nochmals im zweiten Weltkrieg. Die Trappisten mußten wie ihre Vorgänger das Los der Verbannung tragen. Der ärmste Leid¬ tragende dabei war die Stiftskirche. Ohne Pflege und bauliche Überwachung traten alte Schäden bedrohlich zu Tage. Das Turmdach verlangte immer dringender nach gründlicher Erneuerung, oft handbreite Risse in der Vierungskuppel ließen für die Standsicherheit des Gotteshauses das Argste befürchten. Damit wäre die köstliche Malarbeit Altomontes für alle Zeiten verloren gegangen. Fachliches Urteil (von Dombaumeister Matthäus Schlager erstellt) wies aber den Weg der Rettung. Der überstarke Schub des Dachstuhls wurde als Ursache der Schäden erkannt, fleißige Hände sind nun bereits am Werk, um alle Gefahren zu beseitigen und dem Lande einen unersetzlichen Kunstwert zu erhalten. Engelszell lebt eben seit 1925 wieder in praktischer, zweckentsprechender Verwertung und kann so alle Gefährdungen überwinden. Weit bedauerlicher ist die Lage der ehemaligen Stiftskirche Baumgarten¬ berg, des klösterlichen Mittelpunktes des alten Machlandes nördlich der Donau'). Nie ist diesem Bau die Würdigung geworden, die ihm nach seiner kunstgeschicht¬ lichen Bedeutung und herben Schönheit zustünde. Das Land an Mühel, Aist und Naarn ist immer arm gewesen. Es lag abseits der großen geschichtlichen Adern. Die Kunst dieser Landschaft hat daraus Vorteile gewonnen, aber auch Nachteile erlitten. Die Vorteile für Baumgartenberg lagen darin, daß keine der großen Kunst¬ revolutionen restlos ihr Werk des Neubaus durchführen konnte. Romanische Schwere der Außenmauern, romanische Massigkeit der Kirchenschiffe, gotische Helle des Chores und barocker Stuck- und Freskoschmuck sind in dem Gotteshaus eine wunderbare Harmonie eingegangen. Im Chorumgang muß das ruhigste Herz zu Jubel und Ergriffenheit emporgerissen werden. Der Nachteil der abgeschiedenen Lage des Klosters wird besonders heute drückend spürbar. Nach seiner Aufhebung am Tage des Pfingstfestes 1784 sank es von seiner Aufgabe als Kulturträger im Machland völlig herab. Es muß freilich gerechtigkeitshalber zugestanden werden, daß die wirtschaftliche Lage der Ordens¬ gemeinschaft schon vorher sehr schwierig war. Eine bedeutende Schuldenlast be¬ drückte das Haus 8). Erst in den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts zeigten sich für die Bauanlagen des Klosters neue Aussichten. Die Frauen vom guten Hirten aus dem Mutterhause zu Angers kauften das Stiftsgebäude und richteten es für ihre Ordenszwecke ein, die Kirche wurde seit 1889 zum Pfarrgotteshaus. Vom Stand¬ punkt der Denkmalpflege war damit nur eine halbe Lösung gefunden. Die präch¬ tige, weite Kirche mit ihrem überreichen Kunstbestand konnte nur eine Belastung für die kleine bäuerliche Pfarrgemeinde darstellen. Die Geldmittel reichten allen¬ *) L. Koller, Baumgartenberg, Neuburg und Viktring, ehemalige Zisterzienserklöster, Christ¬ liche Kunstblätter Ig 68, S. 25 ff. 8) R. Hittmair, S. 17 und 162 ff. 302

Wutzel: Oberösterreichs Denkmalpflege in der Krise der Zeit falls noch zur Instandhaltung des Daches. An eine Behebung der Feuchtigkeits¬ schäden, die das Mauerwerk morsch machen, die Schwarzmarmorsäulen im Chor¬ umgang erblinden lassen und die Fresken an Decke und Wänden angreifen, und an eine Beseitigung der Wurmschäden in den berühmten Chorstühlen kann gar nicht gedacht werden. Ähnliches gilt für die ehemalige Stiftskirche und jetzige Pfarrkirche Spital am Pyhrn*). Ihren Kunstwert zu schildern erübrigt sich wohl. Ihr Heimatwert ist besonders hoch einzuschätzen, denn die Turmhelme bilden mit der umgebenden Berglandschaft ein vollendet harmonisches Bild, das im Bewußtsein jedes heimat¬ verbundenen Landsmannes lebt. Der Arm des Klosteraufhebungskommissärs traf diesen geistlichen Herrschafts¬ bereich erst im Jahre 1807. Nur für kurze Zeit zogen die Benediktiner von Sankt Blasien, die ihren uralten Sitz im Schwarzwald ebenfalls verloren hatten, in Spital ein. 1828 dachte man an eine Wiedererrichtung des Stiftes, auch Schlägl interessierte sich für den Bau und die Herrschaft. Die Verwahrlosung war damals schon weit fortgeschritten. 1841 traf schließlich ein Brand die ganze Bauanlage so stark, daß nur mehr die Kirche gerettet werden konnte. Traurig ist es zu verfolgen, wie seitdem nicht einmal für die Instandhaltung des Daches und der Türme die nötigen Geldmittel zu gewinnen waren. Wenn 1948 Blechtrümmer von den Turm¬ helmen herabhingen und den Straßenverkehr gefährdeten, so ist dies die bedenkliche Folge einer Verfallsentwicklung, die vor bald hundert Jahren eingesetzt hat. Man konnte sich als Eindeckungsstoff immer nur rostgefährdetes Weißblech leisten. 1910 schien eine Erneuerung unerläßlich zu sein. 2300 Kronen wären benötigt worden; die Summe war aber nicht aufzubringen 1936 lag ein Kostenvoranschlag von 8650 S vor; wieder blieb es nur bei Plänen und guten Absichten. Endlich im Jahre 1949 hat die großzügige Hilfe des Landes Oberösterreich eingesetzt, das ein Kunstwerk von so hoher Bedeutung nicht verfallen lassen wollte. Wie viele Klöster sind vollkommen verschwunden! Wie viele haben eine trost¬ lose Verwendung bekommen — Garsten, Suben! Wie könnte doch eine Kunst¬ kammer vom Reichtum Mondsees im reinsten Lichte erstrahlen! Es ist nicht Aufgabe des Historikers, mit einer geschichtlichen Entwicklung zu rechten. Die Kirchenreformen Kaiser Josef II. verdienen eine Beleuchtung von allen Seiten 10). Auch sie bedürften ihres gerechten und sachlichen Berichterstatters. Die Denkmalpflege muß aber feststellen, daß diese Reformen in der Klosteraufhebung eine ungelöste Lage bis zum heutigen Tage hinterlassen haben. Die kaiserlichen Maßnahmen hatten freilich ein Ziel vor Augen. Ein Kabinettsschreiben aus 1782 bestimmte für die aufgehobenen Klöster: „der Ueberschuss aber und nach Mass ihres Absterbens werden endlich die ganzen Einkünfte blos und ganz allein zur 9) R. Hittmair, G. 493 ff. 10) Siehe dazu E. Winter, Der Josefinismus und seine Geschichte, Brünn 1943, vor allem S. 127—270. Interessant ist auch: Der Josephinismus und die kaiserlichen Verordnungen vom 18. April 1850 in Bezug auf die Kirche. Aus dem Ungarischen übersetzt (Wien 1851). 303

Oberösterreichische Heimatblätter Beförderung der Religion und des damit so eng verknüpften und so schuldigen Besten des Nächsten verwendet werden . . .“ Mit der Errichtung der Religions¬ und Pfarrcasse (später Religionsfonds) war aber tatsächlich nur eine wirtschaft¬ liche und juridische Behandlung des Problems gegeben. Wenn es in einem weiteren Kabinettsschreiben vom 11. März 1782 heißt, daß in allen Städten die aufgelas¬ senen Klöster an den Meistbietenden wegzugeben, daß ihre Kirchen und Kapellen von „allen vasis sacris und Altarsteinen zu leeren“ und ebenfalls zu veräußern seien, daß man mit den Klosterkirchen am Lande gleich verfahren solle, wenn sie nicht als Pfarrgotteshäuser Verwendung finden könnten, so offenbart sich darin der ganze rationalistische Irrtum dieser Aktion, die einen unermeßlichen Kunst¬ bestand in den luftleeren Raum hineindrängte 11). Jahrhundertealte Werte können nicht von einem zum anderen Tag abgetan werden. Sie sind auch niemals über¬ flüssig. Wie würde zum Beispiel eine Klosterkirche von Baumgartenberg als Ruine dem Lande den ewigen Stempel der Barbarei und Verelendung aufdrücken! Die aufgehobenen Klostergemeinschaften waren Wirtschaftskörper, die sich selbst erhielten und ihre Kunstwerke für sich und die Gläubigen aus ihren Mitteln schufen. Da sie heute nicht mehr bestehen, ihr Kunsterbe aber für Volk und Staat unersetzlich ist, gibt es nur die eine Lösung, daß die öffentliche Hand voll und ganz die finanzielle Verantwortung übernimmt. Sie besitzt ja auch in den Gütern des Religionsfonds eine wirtschaftliche Grundlage dazu. Die Klosterkirchen tragen über ihren gottesdienstlichen Zweck hinaus heute bereits einen musealen Charakter. Sie sind Schatz- und Wunderkammern heimischen Kunstschaffens. Wo ein eigener Herr abgeht, müßte eben der Staat die Museumshut übernehmen. Neben den aufgehobenen Klöstern wurden als „überlebte“ Kunstwerte die Filialkirchen genannt. Bescheiden ist ihre Stellung. Sie scheinen nur einer geringen Beachtung wert zu sein. Für den vertrauten Kenner der heimischen Landschaft und Kultur sind sie aber Bauwerke von ganz besonderem Reiz. Ihre hohe Zeit war das späte Mittelalter und die Barocke. Glaubenssehnsucht und Wunderglaube bewegten damals die Menschenherzen mit unvorstellbarer Macht. Zur Ehre volkstümlicher Heiliger, die das Vieh heilten, Gefangene lösten, die Armen nährten und die Pest bannten, wurden in einsamsten Gotteshäusern wunderbare Altarwerke errichtet, überaus liebliche Statuen geschnitzt. So finden wir von den wenigen erhaltenen gotischen Flügelaltären im Lande drei in Filialkirchen — in Pesenbach, Gebertsham und Ober-Rauchenödt. Be¬ sonders das Michaelskirchlein im obersten Mühlviertel ist ein wahres Gnaden¬ geschenk eines alten Meisters für alle nach ihm kommenden Geschlechter. Die Wall¬ fahrtskirche zu St. Anna im Steinbruch in der Pfarre St. Peter am Wimberg birgt einen gotischen Kreuzweg. Die barocken Baumeister haben meist die Baugestalt dieser Kleinkirchen un¬ verändert belassen. Viele bekannte und unbekannte Bildschnitzer gestalteten aber 1) Gesetzliche Bestimmungen über die Errichtung, Verwaltung und Verwendung der Religionsfonde der im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder (Wien 1871), S. 14 ff. 304

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