Schrisfttum harmonik“, die das dritte Planetengesetz enthält, nahm von Linz aus ihren Weg zu den großen Geistern der Zeit und der Nachwelt. Ulm und Sagan, wohin Kepler als Astronom im Dienste Wallensteins kam, waren die letzten größeren Stationen seiner irdischen Wanderschaft, die am 15. November 1630 in einer Regensburger Herberge traurig geendet hat. Alle erreichbaren Quellen gewissenhaft verwertend und sich mit wahrer An¬ dacht in die Seele Keplers versenkend, stattet Caspar das von einem großen geschichtlichen Hintergrunde abgehobene Lebensbild, das er eindrucksvoll vor uns erstehen läßt, mit reichen Einzelzügen aus. So hebt er den Tag, an dem der kleine Johannes von seiner Mutter auf eine Anhöhe geführt wurde, damit er den Kometen sehe, der damals am Himmel stand, und die Nacht, da der Knabe an der Hand des Vaters unter freiem Himmel zum erstenmal eine Mondesfinsternis betrachtete, als bedeutungsvolle Kindheitserlebnisse hervor, deren nachwirkende Macht dem jungen Kepler ein Trost in dem Leid gewesen sein mag, das ihm die äußerst mißlichen Familienverhältnisse bereiteten; Armut der Eltern zwang den hochbegabten Knaben zu ländlichen Arbeiten, wodurch seine Schulzeit in Leonberg immer wieder unterbrochen wurde, sodaß es fünf Jahre dauerte, bis er mit den drei Klassen der Schule fertig war. Die hohe dichterische Begabung Keplers, die sich später in lateinischen wie deutschen Gedichten, aber auch am Rande seiner wissenschaftlichen Werke offenbarte, zeigte sich schon in den aus der Maulbronner Schulzeit überlieferten poetischen Versuchen; im Zusammenhang damit betont Caspar die besondere Vorliebe Keplers für Rätselschöpfungen. Vor allem aber weist der Verfasser schon in dem Kapitel „Kindheit und Jugendjahre“ auf die starke Ausprägung des religiösen Sinnes hin, der Kepler beseelte. Daß sich das fromme Kind bemüßigt fühlte, ein versäumtes Abendgebet am Morgen nachzu¬ holen, mag noch nicht als so bedeutungsvoll erscheinen wie das ergreifende Be¬ kenntnis des Zwölfjährigen, daß er über die Predigt eines jungen Diakons, der gegen die Kalvinisten loszog, unglücklich war, weil ihn die Uneinigkeit unter den Kirchen in quälende Unruhe versetzte. Das schon so früh gehegte Verlangen nach einer Wiedervereinigung der getrennten christlichen Bekenntnisse trug Kepler ein ganzes Leben lang in sich; täglich betete er um die Erfüllung dieses Wunsches, der ihm eine der ernstesten Lebensfragen war 5). Auch die Lob- und Dankgebete an den Schöpfer, mit denen Kepler seine astronomischen Werke krönte, bezeugen seine tiefe Frömmigkeit. Die Wissenschaft war ihm nicht Selbstzweck, sondern er sah ihr Ziel darin, die Menschen zu Gott zu führen, wie es ihm auch als der höchste Sinn seines Lehramtes galt, die Jugend mit Begeisterung für die Werke Gottes zu erfüllen und in Liebe zu Gott zu entzünden. Solche priesterliche Ge¬ sinnung gab ihm die schönen Worte ein, die er in einem Grazer Brief an seinen 5) Aussprüche, in denen Kepler diesem Verlangen bewegten Ausdruck gibt, wirken heute geradezu zeitgemäß, wenn man etwa an die Ausführungen denkt, die der Schweizer Gelehrte Otto Karrer der Frage einer Wiedervereinigung der katholischen und protestantischen Christen¬ heit widmete, als er im Rahmen der diesjährigen Salzburger Hochschulwochen über die „Stellung des Katholizismus zu den anderen christlichen Konfessionen“ sprach. 271
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