Lipp: Die geistige Kultur der Sensenschmiede in Oberösterreich bergte ein kostbares Ding, bei weitem das an historischen und kulturgeschichtlichen Bezügen wertvollste Objekt sensenschmiedischer Überlieferung: die Zunftlade der Kirchdorf-Micheldorfer Innung. Wahrhaftig, sie wurde wie eine Bundeslade geehrt und wert gehalten! „Vor offener Lad“ zusammentreten galt beinahe so viel wie vor einem Altar. Diese Lade enthielt die privilegierte „Sensenschmied¬ handwerksordnung“ von 1604, die das Gewohnheitsrecht der Innung seit „uner¬ denklichen Jahren“ darstellt. „Unerdenklich“ heißt hier so viel wie seit etwa 1520, von welchem Zeitpunkt ab die Kirchdorfer Sensenerzeugung größere Bedeutung erlangt. Die wesentlichen Bestimmungen, die in diesem Zusammenhang interessieren, sind der Jahrtag, als welcher 1604 noch der Tag des „Eisenherrn“ des Hl. Leonhard, gilt — er wurde in der Folge vom Jakobitag, dem 25. Juli verdrängt, — ferner die Stellung der Gewerkin, die „unverhindert Männischer also als Wittib, den Betrieb weiterführen konnte und sollte, die Bestimmung über die Erlangung der Meisterwürde, die Bräuche bei der Aufnahme der „Jungen und die sozialen Vorkehrungen. Aus diesen erwähnten Vorkehrungen lassen sich Rück¬ schlüsse auf den Geist ziehen, der gerade das Sensenschmiedhandwerk beherrschte. Während die Zunft die gegenseitigen Beziehungen der einzelnen Gewerken und der Meister und Knechte zueinander abstimmte, ordnete im Haus die Haus¬ frau das gesamte Leben und Treiben. Im Haus war ihr Wille, Sinn, Herz und Gemüt der Schrein und die Bundeslade, in der die ungeschriebenen Gesetze und Sitten bewahrt und bereit lagen, bereit, überall einzugreifen, zu ordnen und zu helfen. Man bedenke den großen Hausstand, der zu übersehen war, Familie, Schmiede, Meister, Knechte und Arbeiter, dazu der ganze Mägde¬ troß, alles in allem an die 60 Menschen waren zu versorgen und zufriedenzu¬ stellen. Nicht acht, achtzehn Stunden dauerte der Arbeitstag einer Gewerkin, die von einem Kindbett ins andere kam und oft genug als Witwe noch den ganzen Betrieb zu führen hatte. Die Sensenschmiedgeschichten erzählen Bände von dem Leben dieser tapferen Frauen, so unscheinbar es nach außen gewesen sein mag. Die steirische Hammerfrau Maria Elisabeth Stampferin, geborene Dellatorrin, aus dem 17. Jahrhundert, Maria Elisabeth Moser, geborene Eysn, Sensen¬ gewerkin am grünen Anger, die im 18. Jahrhundert waltete, die Katharina ge¬ borene Fehberger, Frau Christof I. Weinmeister von der Wasserleith und Johanna Forcher, geborene Hillebrand, beide im 19. Jahrhundert wirkend, sind nur Bei¬ spiele fraulicher Tüchtigkeit, die in die Literatur eingegangen sind. Am Leben dieser Frauen mögen die Tugenden abgelesen werden, die allen eigneten, als da sind: ein klarer, wägender Verstand, Umsicht und Tatkraft, nimmermüder Fleiß und außerordentliche Sparsamkeit, Eigenschaften, denen notwendig auch negative Seiten entsprechen müssen. Ihnen steht aber ergänzend gegenüber jene wort- und phrasenlose, werktätige Liebe, die etwa die Stampferin zum Engel der Pestzeit in Vordernberg werden läßt, oder die Wasserleitherin als wahre Mutter ihrer Anvertrauten zeichnet. Wenn wahre, echt deutsche Hauskultur, deren Sinnbild Linnenschrein und Schlüsselbund seit jeher war, das Wesen jedes Hammerhauses 245
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