OÖ. Heimatblätter 1949, 3. Jahrgang, Heft 3

Lipp: Die geistige Kultur der Gensenschmiede in Oberösterreich Die geistige Kultur der Sensenschmiede in Oberösterreich Von Dr. Franz Lipp (Linz) Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte zu sehen, ist im 20. Jahrhundert in einem befriedigenden Sinne nicht mehr möglich. Dort, wo sich heute wirtschaft¬ licher Reichtum ausbreitet, sieht man meist an Stelle von eigenständiger, echter Ge¬ sittung die zweifelhaften Formen einer Scheinkultur, sieht man Kitsch und Talmi wuchern. Der industrielle Reichtum der Gegenwart paart sich in der Regel nicht mit wahrer Bildung und hoher Lebensform, ja es hat den Anschein, als ob Wirtschaft, Industrie und Technik in einem Gegensatz zur Kultur stehen müßten. Umso höher ist die Tatsache zu veranschlagen, daß gerade die wirtschaftlich begün¬ stigten Gesellschaftskreise jener Vergangenheit, die man mit dem Jahre 1848 endigen läßt, Träger einer hohen sozialen, materiellen und geistigen Kultur ge¬ wesen sind. Man könnte nachgerade eine Kulturgeschichte Oberösterreichs zu¬ sammensetzen aus der Darstellung der Überlieferungen der alten gewachsenen Stände, des Adels, der Klöster, der Städte, nicht zuletzt aber der tragenden Wirt¬ schaftszweige, von denen jedes Viertel Oberösterreichs einen kennzeichnenden Sproß ausgebildet hat: im Mühlviertel die Leinenhändler, im Innviertel die großen Brauer, im Salzkammergut die Salzfertiger und schließlich im Landl um Michel¬ dorf und Kirchdorf die Sensenschmiede. Die Bedeutung der Sensenschmiede für die österreichische Gesamtwirtschaft und damit, in dem eingangs erwähnten Sinne, für die österreichische Gesamtkultur, geht aus der geographischen Lage der Sitze dieser Sensenschmiede hervor, die sich über die ganze Eisenwurzen erstrecken. Der Grenzraum zwischen Oberösterreich, Niederösterreich und Steiermark ist näm lich zugleich der Kernraum Österreichs, ist in einem hervorragenden Sinne typisch österreichisch. Die wirtschaftliche Bedeutung läßt sich am besten aus der Tatsache ermessen, daß zeitweise im 17., 18. und auch noch im 19. Jahrhundert die Sensen zur wichtigsten Ausfuhrware der Donau-Monarchie gehörten. Dementsprechend zählten die Sensenschmiede auch zu den besten Steuerzahlern und „Kammerguts¬ förderern“ des Staates. Seine Ausbildung verdankt der Stand der oberösterreichischen Sensenschmiede der Verlagerung der eisenverarbeitenden Gewerbe aus dem Bereich des holz- und holzkohleschwendenden Erzberges in die waldreichen Gebiete jenseits des Pyhrn, in das oberösterreichische Krems- und Steyrtal, ja sogar weiter hinauf in das am Weg nach Böhmen liegende Mühlviertel. Dort, in Freistadt, wird um 1500 die älteste Zunft österreichischer Sensenschmiede erwähnt; bald folgen Kirchdorf¬ Micheldorf, das sich mit zeitweise 62 Hämmern zum Vorort der größten Innung 243

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