OÖ. Heimatblätter 1949, 3. Jahrgang, Heft 2

Oberösterreichische Heimatblätter Wir müssen darüber hinaus dem Baumeister der Nischenkirche aber auch eine weitgehende Kenntnis von Proportionsnormen zuerkennen, wie sie die handwerk¬ liche Tradition offenbar an die Hand gab. Zum Hauptmotiv der Naumgestaltung wählt er die beiden streng symmetrisch aufgebauten Dreinischengruppen im Mittel¬ feld der Längswände. An ihnen kamen Quadratur und Triangulatur in jener Ver¬ bindung in Anwendung (Abb. 5, Figur rechts), wie sie für Monumentalbauten der römischen Kaiserzeit typisch ist 11). In gleicher Weise ist auch die Scheitelhöhe der übrigen Hochnischen durch Triangulierung (siehe Dreieckszeichnungen Abb. 2) be¬ stimmt 12). Damit gewinnen gerade jene Strecken, bei denen wir runde Werte in Fuß (5 oder 10) feststellen konnten, als Grundmaß der Proportionen erhöhte Be¬ deutung; da nun solche Grundmaße gerne — schon Vitruv empfiehlt es Fuß= dekaden oder Halbdekaden gleichgesetzt wurden, bietet die Auffindung der Propor¬ tionsnormen eine weitere, indirekte Bestätigung für die Richtigkeit der Annahme, daß der bei der Martinskirche angewendete Fuß 42.5 cm lang war. Fußboden: Die Höhenmaße erlauben Rückschlüsse auf das ursprüngliche Fußbodenniveau. Die Antwort auf diese Frage war ja die Bauuntersuchung schuldig geblieben 13). Das 40 cm unter dem Kirchenboden von 1947 freigelegte gotische Ziegelpflaster lag in der Höhe der Sockelsteine der vorkarolingischen Quaderpfeiler und mochte so ungefähr auch dem originalen Bodenniveau entsprochen haben. Darunter jedenfalls fand sich kein einheitlicher Estrich, wohl aber in verschie¬ denen Lagen verstreute Estrichinseln aus 2—8 cm starken Kalklagen, deren Deutung infolge ihrer Kleinheit und Isolierung äußerst schwierig war. Die Oberfläche dieser ältesten Estrichreste ließ an keiner Stelle erkennen, daß es sich etwa um ein Mörtelbett für einen Stein- oder Fliesenbelag gehandelt haben könnte. Insbesonders war auffällig, daß sich im Ostteil (also im karolingischen Chor) innerhalb der hier zahlreichen Estrichinseln zwei Schichten scheiden ließen, eine dünnere, offenbar spätrömische Art in Höhe der römischen Grundmauerkrone (bei — 28 und eine von etwa 8 cm Mächtigkeit weiter oben (bei — 8), die also zweifellos jünger sein mußte. Im Westteil fand sich nur die dünnere Art (bei — 16) entsprechend der dort auch höher heraufreichenden römischen Fundamentkrone. Das Gelände, auf dem die Kirche erbaut wurde, fiel von Westen (hier hatte es seinen höchsten Punkt) gegen Osten ein wenig ab. Die Fundamentsohle sinkt von rund — 60 im Westen bis — 85 (an der Südostecke sogar — 106) gegen den Chor zu unregelmäßig etwa 25 cm (im Südosten 45 cm) ab. Ist nun die Deutung der tiefstgelegenen dünnen Estrichinseln in der Gotik nicht ganz vermauert waren (siehe a. a. O. G. 31 und Fig. 19 neben k). Wir wissen, daß Stellen verehrter Kultbilder mit größter Zähigkeit bei Umbauten geschont wurden. Gab es etwa in jener Nische, die als chornächste evangelienseits ausgezeichnet war, von Anfang an einen besonders verehrten Kultgegenstand (Martinskult!), um dessentwillen diese Nische auch breiter sein sollte und daher beim gotischen Umbau, zur Kastennische verändert, nicht ver¬ mauert wurde? Auch das Voltosantobild könnte sich als Fortsetzung alter Tradition erweisen (Kruzifixus für die Büßer im Narthex). 11) Franz Juraschek, Weiterleben antiker Baunormen an einem Bau vom Ende des 8. Jahrhunderts. Erscheint demnächst. 12) Das Verhältnis der Scheitelhöhe zum Grundmaß der Nischengruppen (Entfernung der Achse der Hochnische von der Außenkante der Seitennische) ist gleich dem Verhältnis der Dreieckshöhe zur halben Basis im gleichseitigen Dreieck. Als Faustregel kann dafür das Zahlen¬ verhältnis 8.5: 5 in handwerklichen Normen überliefert gewesen sein. 13) Juraschek, Probleme der Denkmalpflege an der Martinskirche in Linz, Österr. Zeit schrift für Denkmalpflege Ig. II 1948, Heft 5/6. 160

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2